Simone Orgel lebt in Berlin und arbeitet freiberuflich als Digital Communications Strategist. Sie bezeichnet sich selbst als Hybridin. Das ist allerdings nichts Technisches. Das heißt vielmehr, dass sie in mehreren Themengebieten zu Hause ist und die in ihrer Arbeit gerne miteinander verbindet.

Bis 2017 war sie Orga-Chefin der re:publica – das ist das größte Netzwerktreffen Digitalschaffender in Deutschland – inzwischen mit Ablegern in verschiedenen Ländern der Welt. Heute berät Simone Orgel Unternehmen und Organisationen bei ihren digitalen Strategien. Und sie engagiert sich bei verschiedenen Veranstaltung. Eines ihrer Herzensprojekte ist dabei „Jugend hackt„. Ein Hackathon für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren, der seit 2013 jährlich stattfindet, inzwischen nicht mehr nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten.

Die Regeln, die auf den Toiletten von Jugend hackt hängen
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Bei „Jugend hackt“ geht es aber nicht nur darum, mit Code die Welt zu verbessern. Es geht auch um Ethik und Medienpädagogik. So hängt dort zum Beispiel auf jeder Toilette ein Zettel, auf dem steht, wie die Regeln des Miteinanders aussehen. Nicht nur für die Teilnehmer:innen, sondern auch für die Mentor:innen. Das schafft Bewusstsein für Themen wie übergriffiges Verhalten und vermittelt zeitgleich ein Vokabular dafür, Grenzen zu setzen, wenn man etwas nicht mag. Und zwar schon weit bevor es um Extremfälle wie sexuelle Übergriffe geht.

„Es ist tatsächlich so ein Wochenende – egal was politisch gerade passiert ist, egal wie die Welt steht – wenn ich aus dem Wochenende rauskomme, kann ich tatsächlich fast schon tänzelnd durch Berlin laufen, weil ich merke, dass, wenn das unsere Zukunft ist, was diese Kids auf die Beine stellen, dann freue ich mich auf die. Das ist richtig toll!“

Simone Orgel

Dabei ist das Team von Mediale Pfade und der Open Knowledge Foundation (OKF), die diesen Hackathon ausrichten, ständig darum bemüht sich zu verbessern. Zum Beispiel wenn es um die Ansprache von Mädchen geht, denn das Ziel ist es, in Zukunft ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf den Hackthons zu haben.

„Natürlich, wenn du sagst, du möchtest auch junge Hackerinnen ansprechen, geht es da auch darum, welche Bilderwelt verwendest du, welche Sprache verwendest du und da eine Offenheit zu haben und Schritt für Schritt den Weg zu gehen, das zu öffnen und weiterzugehen ist genau das, was Mediale Pfade und OKF machen.“

Simone Orgel

Wer Sorge hat, dass auf solchen Hackathons die Doxer der Zukunft ausgebildet werden: Hacken selbst ist zunächst mal nichts Negatives, sondern ein Werkzeug mit Codes und Programmiersprache umzugehen. Und mit jedem Werkzeug ist es möglich, großartige Dinge zu erschaffen, oder eben Schaden anzurichten. Genau deshalb ist es aber auch wichtig, diesen Prozess möglichst früh zu begleiten und entsprechende Regeln zu vermitteln.

„Um ein Werkzeug zu nutzen, müssen wir doch lernen, was es kann und auch die Dimensionen. Dieses Lernen ist eigentlich der Prozess, der dort stattfindet. Ich würde sagen, es braucht noch viel mehr Jugend hackt, damit auch klar ist, in welchen Dimensionen das ganze laufen kann und was es auch einfach anrichten kann.“

Simone Orgel

Den digitalen Körper pflegen

Im Bezug auf den jüngsten Datenleak, bei dem ein 20-jähriger private Daten und Chats von Journalist:innen und Politiker:innen auf seinem Blog veröffentlicht hat, erinnert Simone Orgel nochmal daran, dass wir neben unserem realen Körper eben auch eine Art digitalen Körper haben. Und den gilt es regelmäßig zu pflegen.

„Ich glaube, dass es insgesamt überfällig ist zu akzeptieren, dass wir einen digitalen Körper haben.“

Simone Orgel

Es ist ein bisschen wie mit den regelmäßigen Checkups beim Frauenarzt oder Zahnarzt. Die sind für uns inzwischen selbstverständlich. Genau so selbstverständlich sollte es eben sein, auch unseren digitalen Körper regelmäßig zu kontrollieren. Sie empfiehlt dazu die Inhalte von Netzpolitik.org oder den Adventskalender von Digital Courage e.V.. Denn auch E-Mail und Onlinebanking sind bereits digitale Anwendungen. Wir sind also auch dann digital, wenn wir eben nicht soziale Netzwerke nutzen.

Vom digitalen Körper zum realen Körper

Simone Orgel beschäftigt sich aber nicht nur mit dem digitalen Körper, sondern auch mit dem analogen. Und hier wird vielleicht deutlich, was mit „Hybridin“ gemeint ist. Denn Simone hatte auch mal geplant, Bildhauerin zu werden. Diesen Plan hat sie zwar verworfen, nachdem sie mit den Bedingungen des Kultur- und Kunstförderungsmarkt Bekanntschaft gemacht hatte.

„Damals gab es dann so Sätze wie, Zitat: ‚Ja, das passiert, wenn kleine Mädchen versuchen Künstlerinnen zu sein‘.“

Simone Orgel

Zu Beginn ihres künstlerischen Schaffens hat sie sich unter anderem mit dem Tod auseinandergesetzt und Objektreihen über den Lauf des Lebens kreiert. Was ihr bei diesem Herzensprojekt allerdings klar geworden ist: Auf das Vermarkten hat sie nicht so viel Lust. Im Nachhinein ist sie aber sehr glücklich, dass sie keinen Beruf aus der Kunst gemacht hat, sondern sie sich mit Spaß und ohne Druck dem Schaffen hingeben kann.

In ihren aktuellen Bildern setzt sie sich mit dem weiblichen Geschlecht auseinander. Sie malt Bilder von Vulven. Dabei geht es nicht um Pornografie oder möglichst realistische Darstellungen, sondern um das Entdecken von Vielfalt und Formen.

„2018 – soweit wir mit allem was Porn betrifft oder Sexualität insgesamt trotzdem viele Leute ne große Herausforderung haben in einer gewissen Gelassenheit über Sexualität zu sprechen.“

Simone Orgel

Mit ihrem Projekt „Bing({‚})h“ sucht und findet sie nicht nur Vulva-ähnliche Objekte. Sie ist auf der Suche nach Koseworten für das weibliche Geschlecht aus den verschiedensten Ländern der Welt. Und selbst in Deutschland gibt es durch die verschiedenen Dialekte eine Vielfalt, die sie erst durch ihr Projekt entdeckt hat.

„Im Arabischen ist wohl ein Name für das weibliche Geschlecht ‚Zucchini‘. Da denkst man sich, OK, das könnte eher das männliche Geschlecht sein. Wenn man sich dann aber die Blüte anguckt, denn denkt man: oookeee.“

Simone Orgel

Wer übrigens noch weitere Namen zum Projekt beitragen möchte, ist herzlich eingeladen, Kontakt zu Simone aufzunehmen. Ihr fehlen vor allem noch Kosenamen vom afrikanischen Kontinent. Einen hat sie bisher, aus dem Senegal. Da ist ein Kosename „Become“ – also werden. Das Ziel ist es, wirklich ein Bingo zu erstellen mit 54 Spielkarten. Also, wer Freund:innen aus afrikanischen Ländern hat, möge sich bitte bei Simone Orgel melden.

Ihre Gemälde zum Projekt „Bing({‚})h“ hat Simone inzwischen schon mehrfach ausgestellt.

„Ich male nie das explizite Geschlechtsorgan, sondern ich male eine Papya und packe eben dort, wo ich die Vulva in der Papaya sehe noch ein paar Haare dran, weil ich finde die gehören dazu.“

Simone Orgel

Mit dieser Herangehensweise fällt es vielen Menschen leichter, sich mit unterschiedlichen Formen auseinanderzusetzen. Und mit Gesprächen über Vulven und Kosenamen ist es Simone Orgel tatsächlich auch schon gelungen, harte politische Diskussionen ein wenig aufzulockern.

Investitionsportfolio für gesellschaftliche und politische Teilhabe

Was bis hierhin wahrscheinlich schon sehr deutlich ist: Simone Orgel engagiert sich, gesellschaftlich und politisch. Aber es bleibt bei ihr nicht nur bei persönlichem Engagement. Auch finanziell macht sie sich Gedanken, wie sie zu einer Verbesserung oder Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen kann. 10 Prozent ihres Einkommens investiert sie seit ein paar Jahren in gesellschaftliche Projekte. Ihre zentrale Frage dabei: In welcher Gesellschaft will ich eigentlich leben? Und in welche Organisationen muss ich investieren, damit sich dieser Wunsch für die Zukunft vielleicht erfüllt? Denn niemand kann die Gesellschaft an allen Ecken gleichzeitig unterstützen.

„Man könnte auch – Klammer auf – statt investieren spenden sagen. Aber für mich ist das tatsächlich eine Investition. Denn es gibt sehr viele Bereiche, die ich unglaublich wichtig finde und von denen ich auch in meinem Leben auch profitiere.“

Simone Orgel

Also hat Simone Orgel sich mit dem Thema auseinandergesetzt und zunächst mal angesehen, wie ist unsere Gesellschaft eigentlich organisiert? Dazu hat sie sich die 14 Bundesministerien angesehen. Denn sie wollte wissen: Wie investiert eigentlich Deutschland – zum Beispiel unsere Steuergelder? Nicht, um das genau so zu machen, aber um eine Anregung zu haben, welche Schwerpunkte sie setzen kann.

„Ich kam dann zum Beispiel auf den Punkt, dass Klima für mich ein wichtiger Bestandteil wäre und kam dann auf den Punkt, so zu schiften. Zu sagen: Wieviel Prozent ist mir Klima eigentlich wichtig?“

Simone Orgel

Daraus hat sie dann ein Investitionsportfolio gebastelt, indem sie ihre Investitionen einfach gewichtet und dann entsprechend ihre zehn Prozent verteilt. Eine Kategorie, die ihr bislang aber noch fehlt, ist emotionale Bildung. Also ein Projekt, das Menschen jeden Alters Werkzeuge an die Hand gibt, wie sie mit Emotionen umgehen können.

Was ich mich an der Stelle gefragt habe: Eigentlich zahlt Simone ja, wie andere Menschen auch, genügend Steuern, warum investiert sie zusätzlich noch privates Geld in entsprechende Organisationen? Eine Frage, mit der sich Simone Orgel schon mehrfach auseinandersetzen durfte. Für sie ist die Investition eine Ergänzung. Denn wie die Regierung Steuergelder investiert, ändert sich je nach Regierungszusammensetzung und je nachdem, welche Ministerien von welcher Partei geführt werden. Und diese Änderung passiert relativ regelmäßig. Mit ihren zusätzlichen Investitionen hat sie ein Steuerungsinstrument, das sie unabhängig davon macht.

Und wenn man sich die aktuelle Lage in den USA und den „Shutdown“ und seine Folgen ansieht, dann wird schnell klar, warum auf privates gesellschaftliches Engagement nicht verzichtet werden kann. Simones Portfolio für gesellschaftliches Investment kommt übrigens bei ihren Freund:innen so gut an, dass sich einige schon eine App gewünscht haben, mit er sie sich selbst ein Portfolio basteln können. Und wer weiß, vielleicht wir die tatsächlich umgesetzt. Ich hab mich jedenfalls schonmal als Betatesterin gemeldet.

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