Jessica Balleer ist Journalistin und hat ein Faible für Israel. Genauer gesagt, für die Geschichte des deutsch-israelischen Sportaustauschs. Denn dort wurden schon Verbindungen geknüpft, bevor es eine diplomatische Annäherung der beiden Länder gab.

Für die Rheinische Post berichtet Jessica Balleer regelmäßig über Israel. Ihre Schwerpunkte dort: Sport und Politik. Ihre Bachelor-Arbeit hat sie an der Deutschen Sporthochschule geschrieben. Über ein Thema, das gar nicht so vielen Menschen bekannt ist. Nämlich die Sportbeziehung zwischen den Ländern Deutschland und Israel. Eine Geschichte, die viel über den Unterschied zwischen menschlichen und politischen Beziehungen erzählt.

Angefangen hat ihr Interesse für das Thema im Studium. Denn an der Deutschen Sporthochschule in Köln, am Institut für Sportgeschichte, sitzt ein Mann, der sich schon ziemlich lange mit diesen historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel beschäftigt: Prof. Manfred Lämmer. Er bietet Jesscia Balleer an, ihre Bachelor-Arbeit über Städtepartnerschaften zu schreiben. Genau genommen die Städtepartnerschaften zwischen deutschen und israelischen Städten mit Schwerpunkt NRW.

Klar, da muss eine Recherchereise her. Und deshalb beschließt Jessica Balleer auf eigene Faust eine Rundreise durch Israel zu machen. Schon mit ihrer Ankunft in Tel Aviv beginnt die Begeisterung für ein Land, das auf seine eigene Weise „völlig verrückt“ ist.

„Man landet in Tel Aviv am Flughafen, die Sonne scheint, es sind 20-30 Grad. Man fährt mit dem Zug entlang und hat Sonne, Strand und Meer. Dann setzt man sich in den Bus, 40 Minuten später ist man in Jerusalem und hat den völligen Kontrast. Man ist mitten in dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.“

Jessica Baller

Diese starken Kontraste innerhalb des Landes haben Jessica Baller inspiriert, fasziniert – und bis heute nicht mehr losgelassen. Sport hat im körperbewussten Tel Aviv einen enorm hohen Stellenwert. Überall an den Strandpromenaden sind Sportgeräte für die Öffentlichkeit aufgebaut, rennen Jogger und brausen Radfahrer vorbei.

Im Bereich Vereinssport steht Fußball an erster Stelle, gefolgt von Basketball, wo Israel sportlich die größten Erfolge feiert. Der internationale Sportverband Maccabi (oder auch Makkabi) ist ein Zusammenschluss von Juden und Nicht-Juden, die sich gemeinsam sportlich betätigen, erklärt Jessica Balleer. Der Sportverband ist im übrigen auch in Deutschland aktiv, zum Beispiel in Bonn oder Köln. Ein zweiter Verband ist die Hapoel-Bewegung. Ein Verband, der bereits seit 1926 aktiv ist.

Ein Gespräch über die deutsch-israelischen Beziehungen ist natürlich ohne einen Blick auf Politik und Geschichte der beiden Länder nicht denkbar. Deshalb beginnen Jessica Balleers Recherchen mit der Wiederherstellung der Beziehungen nach dem Ende der NS-Zeit. Die werden in der Regel der hohen Politik zugesprochen, erklärt die Journalistin und beginnen in dieser Wahrnehmung 1965.

„Wenn man sich dann aber den Sport und den Sportaustausch anschaut, dann landet man schon weit, weit vor 1965. Also um Grunde schon Ende der 50er Jahre. Also 10 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkriegs gab es Sportaustausch. Gerade auch auf kommunaler Ebene.“

Jessica Balleer

Start der Sportbeziehungen 1954

Im Grunde starten die Beziehungen bereits 1954, also dem Jahr, in dem Deutschland Fußball-Weltmeister wird und sich damit auch in Israel einen großen Namen gemacht hat. 1957 kommen dann die ersten israelischen Trainer an die Deutsche Sporthochschule nach Köln, um dort an der Trainerakademie zu studieren.

Das Bemerkenswerte an diesen Beziehungen: Politik und die deutsche Vergangenheit spielen zunächst anscheinend überhaupt keine Rolle. Und das, obwohl einige Initiatoren dieses sportlichen Austauschs hochrangige Funktioniäre während des Nationalsozialismus waren.

„Beispielsweise Mordechai Spiegler, ein damals sehr bekannter israelischer Fußball, der hat damals gesagt: Warum sollte ich denn Günter Netzer nach der NS-Vergangenheit seines Vaters fragen? Ich wollte professionell Fußball spielen, ich hatte sogar ein Angebot von Borussia Mönchengladbach. Die Geschichte war mir mehr oder weniger egal.“

Jessica Balleer

Auch für Jessica Balleer grenzt es fast an ein Wunder, dass es den Beteiligten gelungen ist, die Vergangenheit in der Form auszublenden. Auf der anderen Seite war das – rückblickend betrachtet – wohl die einzige Chance, so gute Beziehungen zu entwickeln. Indem die Geschichte einfach außen vor blieb.

Für Jessica Balleer liegt die Vermutung nahe, dass die Anerkennung der sportlichen Leistungen der damaligen deutschen Nationalmannschaft so groß war, dass auch in Isreal Menschen und Sportfunktionäre von dem Know How profitieren wollten. Bereits 1963 reist dann die erste Gruppe junger Sportstudenten auf Einladung nach Israel. Das heißt wir sind immer noch zwei Jahr vor der offiziellen Aufnahme der diplomatischen Beziehungen seitens der Politik. Die Studierenden organisieren Freundschaftsspiele, freuen sich über den kulturellen Austausch, besuchen Jerusalem und die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

„Aus dieser Reise sind tatsächlich auch zwei deutsch-israelische Ehen entstanden. Das, was die hohe Politik nicht vermocht hat, nämlich wirkliche, persönliche Kontakte herzustellen, das hat eben der Sport geschafft. Weil der barrierefrei war und man sich auf Augenhöhe begegnen konnte.“

Jessica Balleer

Die 80er – es kriselt

Anfang der 80er Jahre geraten die deutsch-israelischen Beziehungen dann in eine Krise. Es melden sich Stimmen aus Israel, die diesen unbedarften Umgang miteinander kritisch sehen. Ein Besuch der Deutschen Nationalmannschaft in Israel wird von Schriftstellern und Intellektuellen des Landes kritisch beäugt. Artikel erscheinen, in denen den jungen deutschen Fußballern Desinteresse an der geschichtlichen Auseinandersetzung attestiert wird.

„Das waren Schriftsteller, Gelehrte und Studierte, die gesagt haben: Moment mal, das sind doch eigentlich die Nachfahren derer, die unsere Vorfahren im Holocaust umgebracht haben und wegen denen die fliehen mussten. Und da gabs dann tatsächlich auch im Sportaustausch eine kleine Delle.“

Jessica Balleer

Aber die sportlichen Beziehungen stabilisieren sich wieder. Auch das grenzt für Jessica Balleer schon fast wieder an ein Wunder. Während sich die Vereine, allen voran Borussia Mönchengladbach, die als erster Bundesligist 1970 ein Freundschaftsspiel in Tel Aviv absolviert hatten, bereits frühzeitig um gute Beziehungen bemüht haben, bekundete der DFB als Verband zunächst nur wenig Interesse.

„Erst 1987 kam es zum ersten Länderspiel zwischen Deutschland und Israel. Und das hat man den Funktionären, die dafür zuständig waren, übel genommen.“

Jessica Balleer

Auf Vereinseben waren die Beziehungen wesentlich stabiler. Neben Borussia Mönchengladbach haben auch Schalke 04 und Borussia Dortmund regelmäßig ihre Trainingslager in Israel absolviert. Ende der 80er Jahre zieht dann auch der DFB nach.

Treibende Kraft für diese Entwicklung waren aber tatsächlich die Städtepartnerschaften und -freundschaften, die vor allem in NRW bereits in den 60er Jahren etabliert und durch den Sportaustausch ermöglicht wurden. Und es ging nicht nur um Fußball, sondern auch Handballmannschaften, Leichtathleten und Schwimmvereine haben sich aktiv um gute Beziehungen nach Israel bemüht. Meist auf Initiative von Einzelpersonen, sagt Jessica Balleer.

Denn durch Krieg und Verfolgung wurden auch Menschen auseinandergerissen, die sich eigentlich gut verstanden haben. Oder die vorher schon in Vereinen gemeinsam Sport getrieben haben. Viele der Einzelpersonen haben auch deshalb Initiative ergriffen, um eben diese Beziehungen wieder herzustellen.

„Es waren viele, die aus Deutschland geflüchtet sind und dann in diesem Zwiespalt steckten: Klar, das ist das Land der Täter. Aber das ist eben auch unsere, meine alte Heimat. Und deshalb gab es da Bande, die sehr stark waren.“

Jessica Ballee

Auch das Beispiel der Olympischen Spiele 1972, bei denen ein Anschlag auf die israelische Mannschaft verübt wurde, zeigt, wie resilient die Beziehungen waren. Bereits zwei Wochen nach dem Anschlag gab es wieder einen Sportaustausch mit deutschen Studenten, die nach Israel gereist sind.

Sport funktioniert auf persönlicher Ebene

Die Geschichten zeigen, wie unterschiedlich die Beziehungsebenen sein können, historisch, politisch – und persönlich. Und dass es auf der einen Seite möglich ist, die Politik aus dem Sport herauszulösen, auf der anderen Seite Sport und Politik dann aber doch nicht voneinander getrennt werden können, wenn es um diplomatische Beziehungen geht.

„Man darf nicht zu viel verklären, glaube ich, nur der Sport ist das beste Beispiel dafür. Er funktioniert da, wo sich Menschen auf persönlicher Ebene treffen und Sport miteinander treiben. Aber genau da, wo Funktionäre, Politik, Geld und Macht ins Spiel kommen, da verliert er seine eigenen Werte.“

Jessica Balleer

Ender der 80er, Anfang der 90er Jahre nehmen die sportlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ab. Zum einen, weil Geld ins Spiel kommt – der Fußball in Deutschland professionalisiert sich immer stärker. Statt Israel stehen Katar, Abu Dhabi, die USA oder China auf den Reiselisten der Vereine. Und auf der anderen Seite verschärft sich der Konflikt im Gaza-Streifen. Die ständigen Unruhen, Anschläge und Terrorwarnungen machen Trainingslager in Israel zu einem unkalkulierbaren Risiko.

Auch das Israelbild selbst wird kritischer. Während es in den 60er Jahren kaum Kritik an der Politik Israels gab, sieht das heute ganz anders aus. Hinzu kommt, dass die Menschen, die in den 60ern die Kontakte initiiert haben, alt geworden oder inzwischen verstorben sind. Und so ist der Kontakt nach und nach abgerissen.

Heute gibt es neue Initiativen. Der DFB zum Beispiel schickt seit 2008 jeden Winter eine U-Mannschaft zum Trainingslager nach Israel. Die aktuelle U18 hat gerade erst das Winterturnier in Israel gewonnen. Auch die ersten deutschen Trainer haben in Israel gearbeitet. Zum Beispiel Lothar Matthäus, der Mann, der im ersten Länderspiel zwischen Deutschland und Israel 1970 das 2:0 geschossen hat. Und seit 2018 ist Andreas Herzog Trainer der israelischen Nationalmannschaft.

Sportaustausch zwischen Israelis und Palästinensern

Sport schafft aber nicht nur Verbindungen zwischen Deutschland und Israel. Durch Sport- und Begegnungsprojekte wird auch versucht, das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinenser zu verbessern. Was auf politischer Ebene hoffnungslos scheint, klappt auf sportlicher Eben ganz gut, sagt Jessica Balleer. Wie Projekte in Ost-Jerusalem beweisen.

„Ost-Jerusalem ist nicht die Masse an Menschen, aber genau der wunde Punkt. Ich glaube, dass das eine Vorzeigeregion werden kann, wenn es darum geht, den Konflikt irgendwann zu lösen.“

Jessica Balleer

Mitte 2018 hat Jessica Balleer eine Initiative in Ost-Jerusalem besucht, die von einem Rabbi geleitet wird. Das Ziel: Junge Menschen zusammenbringen durch Sport. Denn was die Sportler in den 60ern und 70ern geschafft haben, ist vielen Menschen in Israel immer noch präsent.

„Die wurden als Diplomaten in kurzen Hosen bezeichnet. Das sind irgendwie Botschafter gewesen, aber die hatten eben kurze Hosen an und ein paar Stollenschuhe und dann hat man eben ein bisschen Fußball gespielt.“

Jessica Balleer

Was Jessica Balleer neben ihrem beruflichen Themengebiet noch so an Israel fasziniert, wie sie die Veränderungen in dem Land wahrnimmt, darüber sprechen wir im letzten Drittel des Podcasts. Aber irgendwas muss ja für euch auch noch zum Hören übrig bleiben.