Ulrike Sckaer arbeitet als ärztliche Psychotherapeutin in Köln. Auch für sie war das die erste Woche, in der viele Patient:innen die Corona-Pandemie thematisiert haben. Dabei stellt Ulrike Sckaer gerade bei den Angstpatient:innen, die bei ihr in Behandlung sind, fest, dass die erstaunlich gelassen mit der Situation umgehen. Also klar ist da Anspannung und da sind auch Ängste. Aber eben gar nicht so viel Panik.

Woran das liegt, warum uns Informationen beruhigen und wie gerade Ängste uns in einer solchen Situation einander näher bringen, darüber habe ich mit ihr in dieser Bonusfolge gesprochen.

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Die erste Woche mit Homeoffice, geschlossenen Kitas und Schulen, Schlangen vor Supermärkten und Ausgangsbeschränkungen liegt hinter uns. Zeit, mal zu reflektieren, was passiert ist. Und vielleicht auch, uns darauf vorzubereiten, was da noch auf uns zu kommt.

Meine Freundin Ulrike Sckaer ist ärztliche Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Köln. Auch wenn die Menschen wegen ganz anderer Geschichten zu ihr kommen: Die Corona-Pandemie war bei fast allen Klient:innen ein Thema, sagt sie. Was sie allerdings überrascht hat: Dass zwar die Befürchtungen und der Druck zunehmen, aber nicht unbedingt die Ängste der Menschen, die zu ihr kommen.

„Die Leute, die eher ängstlich sind, sind jetzt mit so einer realen Bedrohung konfrontiert. Und für mich überraschenderweise, reagieren die sehr ruhig und überlegt.“

Dr. Ulrike Sckaer

Es ist ein bisschen so, als hätte der Feind jetzt endlich ein Gesicht. Und zusätzlich fühlen sich die Menschen nicht mehr so alleine, denn die Angst vor dem Corona-Virus betrifft gerade alle Menschen auf der Welt. Und dieses Gefühl, dass das gerade alle gleichermaßen trifft und auch alle irgendwie Angst haben, das hat etwas beruhigendes. Deswegen geht die Anspannung nicht weg, die viele Menschen spüren, aber es steigert sich auch nicht in Richtung Panik.

Ein weiterer Effekt ist: Viele Menschen sprechen gerade sehr offen über ihre Ängste. Und das sorgt dafür, dass wir grundsätzlich offener für die Ängste von Menschen sind – egal ob mit oder ohne psychische Erkrankungen. So ein bisschen fällt gerade das Tabu, über die eigenen Ängste zu sprechen.

„Es ist viel anerkannter, Ängste zu haben, weil es eben alle betrifft.“

Dr. Ulrike Sckaer

Die Berichterstattung über die Corona-Pandemie kann, muss aber nicht unbedingt Ängste triggern. Das hängt auch sehr davon ab, welche Art von Berichterstattung das ist, sagt Ulrike Sckaer. Sie unterscheidet die beängstigende und aufputschende Berichterstattung von den sachlichen Informationen. Denn die seien, auch wenn sie keine guten Nachrichten beinhalten würden, beruhigend.

Denn sie geben Menschen das Gefühl, dass sie informiert sind, dass sie wissen, woran sie sind und auch auf dem neuesten Stand sind. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass so viele Menschen den NDR info „Corona Update Podcast“ mit Christian Drosten, dem Chefvirologen der Berliner Charité hören. Er liefert glaubhafte Informationen, reflektiert und korrigiert sich, wenn es neue Entwicklungen gibt und nimmt so alle Zuhörenden so mit, dass sie am Ende das Gefühl haben, gut informiert und auf dem neuesten Stand zu sein.

„Informationen sind etwas, das beruhigt. Oder: Informationen sind Schnuller für Erwachsene.“

Dr. Ulrike Sckaer

Das Nachdenken über solche Nachrichten führt außerdem dazu, dass wir anfangen, unsere Ängste rationaler zu betrachten. Ein Beispiel dafür ist das Hamstern. Eigentlich ein irrationales und vor allen Dingen auch unsoziales Verhalten, sagt Ulrike Sckaer. Gesteuert wird dieses Verhalten aus unserem Triebzentrum, das im Mandelkern (Amygdala) des Gehirns sitzt. In unserer Angst erleben wir andere Menschen als Feinde. Also diejenigen, die uns das Klopapier klauen und uns alles wegnehmen.

In dem Moment, in dem wir aber anfangen rational zu denken und uns bewusst machen: Es gibt genug Klopapier, es gibt auch genug Nudeln und Tomaten, die sind vielleicht nur gerade nicht in ausreichender Menge bestellt oder nachgefüllt, in dem Moment registrieren wir, dass die anderen Menschen diese Dinge gerade auch benötigen. Und dann stellen wir auch fest: Wir befinden uns gerade gemeinsam in dieser Situation. Dadurch entsteht solidarisches Handeln und es beruhigt uns auch zu wissen, dass wir da gerade eben nicht alleine sind.

„In dem Moment, wo wir anfangen zu denken: Moment, ich brauche gar nicht fünf Packungen Klopapier, andere Menschen brauchen das auch, kann das auch für einen selber einen beruhigenden Effekt haben, indem man sich anderen verbunden fühlt.“

Dr. Ulrike Sckaer

Grundsätzlich sind diese Ängste also nachvollziehbar. Es ist aber gar nicht so leicht, die zu durchbrechen. Selbst, wenn wir die Menschen ansprechen, die gerade dann doch hamstern. Denn muss nicht unbedingt dazu führen, dass diese Menschen den Panikmodus verlassen und wieder rational denken. Das kann auch zu Ablehnung und Misstrauen führen, denn ich sehe ja die anderen Menschen als Feind – und vielleicht sagen die das nur, um sich dann da Klopapier selbst unter den Nagel zu reißen. Und vielleicht schämt sich die Person auch, dass sie erwischt worden ist – und kann das dann einfach nicht zugeben. Im Bekannten- und Freundeskreis kann es aber durchaus sinnvoll sein, das anzusprechen. Und vielleicht auch folgendes kleines Gedankenexperiment durchzuspielen:

„Wie fühlt sich das denn für mich selber an, wenn ich positive Gedanken habe? Also eben nicht die Nachbarn als Gegner wahrzunehmen, sondern solidarisch als Mitmenschen, die vielleicht die gleichen Sorgen haben und denen ich vielleicht helfen kann.“

Dr. Ulrike Sckaer

Bei Existenzängsten hilft vor allem zuhören

Etwas anderes sind Existenzängste, die gerade zum Beispiel viele Selbständige treffen. Dazu gehören Künstler:innen und Journalist:innen genauso wie die Inhaber:innen von kleinen Geschäften zum Beispiel. Bei solchen realen Ängsten ist es schwierig auf der rationalen Ebene zu argumentieren. Ein „Das wird schon“ ist zwar nett gemeint, hilft aber in der Situation nicht weiter. Da ist es vor allem wichtig, sich diese Sorgen und Nöte anzuhören. Aber auch hier gilt, dass gerade ganz viele Menschen gleichzeitig vor diesem Problem stehen. Und dass diese Menschen sich aktuell auch vernetzen und gegenseitig unterstützen.

„Letztendlich kann man nur sagen: Ja, es gibt ganz reale Sorgen. Und es kann noch keiner sagen: Ja, es wird alles gut.“

Dr. Ulrike Sckaer

Wichtig ist, dass diejenigen, die gerade nicht von diesen Sorgen um die eigene Existenz betroffen sind, das bei anderen wahrnehmen, annehmen, zuhören oder auch ganz real Unterstützung anbieten. Manchmal reicht es auch schon zu wissen, dass man sich im Notfall auf jemanden verlassen kann, um wenigstens ein bisschen den Druck zu nehmen.

Wer jetzt aber merkt, dass der Druck zu groß wird und dadurch vielleicht sogar Panikattacken ausgelöst werden, dann ist therapeutische Hilfe gefragt. In ganz akuten Fällen hilft da auch der Notruf der Seelsorge. Wer einfach grundsätzlich eine Anspannung spürt, dem rät Ulrike Sckaer sich auf die Atmung zu konzentrieren und bewusst tief durchzuatmen.

„Da sind natürlich die Leute die Yoga machen oder meditieren und schon solche Atemtechniken kennen durchaus im Vorteil. Aber das kann man auch jetzt noch lernen.“

Dr. Ulrike Sckaer

Und ganz banal, aber sehr wirksam ist: Drüber sprechen. Sich Menschen anzuvertrauen und denen ehrlich zu schildern, in welcher Situation man sich befindet und was das mit einem macht. Und auch wirklich versuchen, zum Kern der Angst vorzudringen. Was ist jetzt gerade meine Angst? Was könnte mir helfen, oder was kann ich unternehmen, um dieser Angst zu begegnen?

Großer Bedarf an Beratung

Was jetzt in nächster Zeit wahrscheinlich ansteigen wird, ist aber gar nicht der Bedarf an Therapie, sondern einfach an psychologischer Beratung. Viele Menschen befinden sich gerade einfach in einer äußerst ungewöhnlichen Situation. Egal ob isoliert und alleine in der Wohnung oder mit dem Lebenspartner und möglicherweise den Kindern auf engstem Raum mit Betreuungsaufgaben, Homeoffice und Tagesorganisation.

Dass es da zu Überforderung und Konfliktsituationen kommt, ist erwartbar. Was es bis zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht gab, waren konkrete Hilfsangebote von Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen für diese Situation. Aber auch da entwickelt sich gerade was. Zum Beispiel durch den von der Regierung organisierten „Wir vs. Virus Hackathon.“

Was vor allem für Menschen mit Depressionen gerade schwierig ist: Der soziale Rückzug, eines der Symptome depressiver Menschen, wird gerade sozusagen für alle verordnet. Und das könnte dazu führen, dass Menschen Depressionen entwickeln und auch unter der Einsamkeit leiden.

„Was eigentlich ein Krankheitssyptom ist, wird plötzlich das Gebot der Stunde. Das ist sicherlich sehr schwierig.“

Dr. Ulrike Sckaer

In der nächsten Zeit wird es also darum gehen, mit Menschen in Kontakt zu bleiben und dafür zu sorgen, dass sich niemand isoliert fühlt. Egal ob via Skype, Facetime, Telefon, Messenger oder auch Postkarten und Fotos, die wir uns zusenden, wenn es keine Möglichkeit der digitalen Interaktion gibt.

Konflikten vorbeugen

Für alle, die jetzt ungewohnt auf engem Raum miteinander klar kommen müssen, egal ob Paare oder Familien, gilt es jetzt, Strategien zur Konfliktbewältigung zu finden. Denn es fällt ungleich schwerer, Raum zwischen sich zu schaffen, indem man zum Beispiel zur Arbeit geht oder zum Sport. Aktuell sind alle noch sehr damit beschäftigt, die neue Situation zu organisieren. Aber der nächste Lagerkoller kommt bestimmt. Und dann ist es wichtig, Strategien entwickelt zu haben, um Konflikte auch dann lösen zu können, wenn wir eben nicht mehr so viele Möglichkeiten haben, Raum zwischen uns zu bringen.

„Es hilft, vorab schon mal darüber zu sprechen: Das wird jetzt schwierig. Wie können wir das machen, wenn wir merken: Du gehst mir jetzt grade auf den Zeiger, ich kann das nicht mehr aushalten.“

Dr. Ulrike Sckaer

Wichtig ist auch, rechtzeitig einfach Bescheid zu sagen, wenn die innere Spannung steigt oder man sich genervt fühlt. Und dann Auswege zu suchen, indem zum Beispiel einfach auch mal die Möglichkeit geschaffen wird, alleine raus zu gehen – entweder für Einkäufe oder, um ein bisschen Sport zu machen.

Die größte Aufgabe ist allerdings, sich eine Tagesstruktur zu schaffen. Und das gilt für alle. Egal ob alleine oder mit der Familie. Neue Rituale zu entwickeln. Zu überlegen, wann steh ich auf, wie will ich den Tag strukturieren, wie kann ich eine neue Form von Alltag etablieren? Denn auch das ist für viele Menschen beruhigend.

Und auch wenn das nicht schön ist: Aber es wird Situationen geben, in denen wir nicht besonnen reagieren. In denen wir uns vielleicht streiten und anbrüllen und die Kinder das mitbekommen. Das sollte nie das Ziel eines Konflikts sein. Aber wenn es passiert, ist es wichtig, das gemeinsam aufzuarbeiten. Und den Kindern auch zu erklären, was da grade passiert ist und warum.

Und danach ist es wichtig, eine Lösung zu suchen. Damit so ein Konflikt beim nächsten Mal nicht darin endet, dass sich Partner anschreien. Auch Gespräche mit Freunden sind in solchen Fällen wichtig. Oder eben auch Hilfe von außen durch ein psychologisches Beratungsangebot.

„Grundsätzlich ist das keine gute Lösung, rückwärts zu gucken, sondern eher nach vorne zu gucken. Eher zu gucken: OK, das ist jetzt passiert, warum ist das passiert und wie kann ich das verhindern.“

Dr. Ulrike Sckaer

Ganz grundsätzlich sind das einfach keine idealen Umstände für ein Zusammenleben, wenn es eine Ausgangbeschränkung, oder wie seit Anfang dieser Woche (23.03.2020) eine Kontaktsperre gibt.

Aber: Es muss nicht zwingend im Konflikt enden. Es gibt auch Menschen, die sich einfach gern haben, die geübt darin sind, Konflikte miteinander auszutragen und zu lösen, und die diese Zeit auch genießen können. Die es genießen, mehr von ihren Kindern zu haben (auch wenn das anstrengend ist, beides kann zur gleichen Zeit wahr sein), sich nicht mehr mit dem Partner die Klinke in die Hand zu geben und ständig den Alltag durchzutakten.

Und das hat Ulrike Sckaer in ihrer Praxis tatsächlich auch in der vergangenen Woche sehr häufig erlebt. Dass viele ihrer Klient:innen eher dankbar waren, für das, was sie haben. Sei es den Partner, die Kinder oder die WG. Dass sie froh waren, die Zeit nicht alleine durchstehen zu müssen. Und dass sich vor der aktuellen Gefahr da draußen auch andere Dinge wieder relativiert haben. Nämlich die Kleinigkeiten, über die man sich sonst so aufregt, wie nicht zugedrehte Zahnpastatuben.

Und für alle, die ein bisschen Inspiration brauchen, für positive Gedanken, gibt es hier eine kleine Hausaufgabe: Woran wollt ihr euch Ende des Jahres, wenn ihr mit Freunden und Familie zusammensitzt, gerne erinnern, wenn ihr an diese Zeit zurück denkt? Welche Geschichten wollt ihr gerne erzählen? Vielleicht hilft das der einen oder dem anderen dabei, sich gerade ein bisschen mehr zu fokussieren – und die eigenen Ängste besser unter Kontrolle zu bekommen.

Habt ihr Fragen oder etwas erlebt, worüber ich mit Ulrike Sckaer in der nächsten Zeit sprechen soll? Wir haben zwar kein klar umrissenes Konzept. Aber uns beiden hat das Gespräch sehr viel Spaß gemacht. Und wenn es euch auch so geht, dann würden wir das gerne wiederholen und dabei auch auf eure Fragen und Wünsche eingehen. Schreibt gerne einen Kommentar oder schreibt mir eine PN bei Twitter, wenn ihr da einen Account habt.

HILFSANGEBOTE IM NETZ:

Für alle, die akut unter Ängsten oder einem Konfliktfall leiden, hier ein paar Anlaufstellen:

Unter angstfrei.news bekommt ihr alle Informationen rund um die Corona-Pandemie in einem Setting präsentiert, dass euch mit allen wichtigen Informationen versorgt, ohne zu dramatisieren oder mit Bildern zu triggern. Die Seiten sind ein Angebot des Deutsche Angst-Hilfe e.V.