Ruth Piecha hat eine eigene Kommunikationsagentur und arbeitete schon für Kunden wie die Europäische Raumfahrtbehörde ESA oder das Europäische Parlament. Also eine gestandene Businessfrau. Ruth Piecha ist aber auch Mutter von zwei kleinen Kindern. Und sie ist Aktivistin. Das heißt, sie arbeitet neben ihrer Selbständigkeit ehrenamtlich für Mother Hood e.V. Wie das alles in einen Tag passt, erzählt sie in dieser Folge von „Mensch, Frau Nora!“

Mit kleinen Kindern selbständig arbeiten in einer Kommunikationsagentur klingt nach einem Leben, das kaum Platz für Hobbys oder Nebenaktivitäten lässt. Denn auch wenn Ruth Piecha in der Organisation und Betreuung der Kinder von ihrem Mann unterstützt wird, bleibt es eben ein organisatorischer Aufwand, der den Tagesablauf der beiden berufstätigen Erwachsenen maßgeblich strukturiert.

Ruth Piecha hat sich aber inzwischen sehr gut darin eingerichtet. An einem typischen Arbeitstag bringt sie meistens zuerst die Kinder in die Kita. Einfach, weil ihr Mann bereits um sechs das Haus verlässt, um zur Arbeit zu fahren. Zwischen neun und halb zehn ist Ruth Piecha dann meistens am Schreibtisch oder in der Agentur. Bis spätestens halb fünf müssen die Kinder in der Kita wieder abgeholt werden. Das übernimmt zwar zwischendurch auch ihr Mann, aber in der Regel holt sie selbst die Kinder ab.

„Ich hätte es auch gerne mehr. Aber es ist wirklich ein bisschen schwierig. Weil um 16:30 Uhr macht die Kita zu. Man denkt ja immer Vollzeit-Kita sind Vollzeit Betreuungszeiten, aber 16:30 Uhr sind 45 Stunden. 16:30 Uhr ist dann Schluss.“

Ruth Piecha

Um Job und zwei kleine Kinder im Alter von zwei und vier Jahren unter einen Hut zu bekommen, plant Ruth Piecha vor allem morgens mehr Zeit ein. Zu Beginn konnte ihr Mann die Kinder häufig bringen und abholen. Das hat sich aber nach einem Jobwechsel geändert. Und irgendwann hat Ruth Piecha festgestellt:

„Das muss ich viel besser kommunizieren, wann ich kann und wann ich nicht kann. Weil ich dann nachmittags teilweise am Telefon saß mit dem Grafiker an der Strippe, zwei brüllenden Kindern im Hintergrund und versucht hab, das Layout zu besprechen.“

Ruth Piecha

Sie hat sich angewöhnt, ganz klar zu kommunizieren, wann sie für ihre Kunden verfügbar ist und wann eben nicht. Wenn nichts anderes vereinbart wurde, ist um 15:30 Uhr Schluss. Danach gesendete Informationen werden am frühen Abend oder am nächsten Tag bearbeitet. Aber auch das wird dann einfach klar kommuniziert.

Dass sie als Mutter im Berufsleben anders wahrgenommen wird als vorher, kann Ruth Piecha nicht feststellen. Was sie aber feststellt: Die Medienbranche ist eine sehr junge Branche – und viele Medienschaffende, mit denen sie zusammenarbeitet, haben einfach deutlich mehr Zeit zur Verfügung als sie. Deshalb muss sie einfach anders organisieren. Statt wie vorher mehrere kleine und große Projekte gleichzeitig zu betreuen, konzentriert sie sich jetzt auf ein großes und wenige kleine Projekte. Einfach, um besser planen zu können.

Dass sie als Selbständige Beruf und Familie besser unter einen Hut bekommt als zum Beispiel mit einer Festanstellung, das glaubt sie nicht. Beide Beschäftigungsverhältnisse haben ihre Vor- und Nachteile, findet sie. Gerade im Krankheitsfall ist es für Selbständige gar nicht so leicht, sich rauszuziehen. Vor allem dann, wenn das Projekt maßgeblich an der eigenen Person hängt.

Ruth Piechas Weg zu Mother Hood e.V.

Zu ihrem Ehrenamt bei Mother Hood e.V. ist Ruth Piecha durch die Geburt ihrer ersten Tochter gekommen. Denn während Ruth Piecha in den Wehen liegt, verschwindet plötzlich die ihr zugewiesene Hebamme – und kommt auch nicht wieder.

„Ich hab noch bei der Kreißsaal-Besichtigung so kess gefragt, weil sie eben sagten, sie hätten drei Kreißsäle und es sind immer zwei Hebammen auf Schicht: Ich bin ja jetzt kein Mathegenie, aber drei durch zwei – das geht sich ja irgendwie nicht aus … Was macht ihr denn, wenn der Laden wirklich voll ist?“

Ruth Piecha

Ruth Piecha wurde mit den Worten beruhigt, dass das eigentlich nie passieren würde. Als sie dann mit Wehen ins Krankenhaus kommt, ist der Laden dann doch rappelvoll. Und während ihre Hebamme zwischen den gebärenden Frauen hin und her rennt, geht es bei Ruth Piecha auch in die heiße Phase der Geburt – ihre Hebamme ist aber plötzlich dauerhaft verschwunden. Irgendwann kam dann doch wieder eine Hebamme, die Ruth als „Die Trainerin der russischen Sportmannschaft“ beschreibt. Auch das wäre für sie in Ordnung gewesen, sagt sie, wenn man sie vorgestellt hätte mit: Das ist eine der besten Hebammen Kölns. Mit ein bisschen Humor, sagt Ruth Piecha, hätte sie das durchaus hinnehmen können. Leider ist das nicht passiert. Stattdessen ging es richtig rund, beschreibt Ruth Piecha die Situation für sie im Kreißsaal.

„Danach war ich so stinkesauer, dass ich einfach mal angefangen hab zu googlen, was denn da wohl los ist. Und bin dann auf Mother Hood gestoßen, die da noch in der Gründungsphase waren.“

Ruth Piecha

Das war 2014. Der Verein Mother Hood e.V. möchte eine vernünftige Versorgung von Mutter und Kind rund um die Geburt sicherstellen. Das heißt: In der Vorsorge, während der Geburt und im Wochenbett. Momentan sei das nicht gegeben, sagt Ruth Piecha. Es ist sogar so, dass sich die Situation seit sie angefangen hat ehrenamtlich die inhaltliche Konzeption und Organisation für Mother Hood zu betreuen sogar noch verschlechtert hat.

„Wir versuchen publik zu machen, was macht eine sichere Geburt überhaupt aus und da auch politisch einzuwirken und den Frauen Informationen an die Hand zu geben, damit die sich auf die Geburt auch anders vorbereiten können.“

Ruth Piecha

Die Versorgungssituation wird in Deutschland flächendeckend schlechter. In manchen ländlichen Regionen müssen Frauen bis zu 45 Minuten fahren, um ins nächstgelegene Krankenhaus mit einer Geburtsstation zu kommen. Denn aus wirtschaftlichen Gründen machen Krankenhäuser immer häufiger kleinere und damit unrentable Geburtsstationen dicht.

Ursachen für die schlechte Betreuung

Die Geburtshilfe ist chronisch unterfinanziert, sagt Ruth Piecha. Bringt ein medizinischer Bereich nichts ein, wird Personal gespart. Das führt zur Überlastung des noch vorhandenen Personals. Wenn das aber ständig überlastet ist, fängt es an, sich nach Alternativen umzusehen.

„Mit Geburten verdient man nichts und die Krankenhäuser versuchen, die Geburtsstationen loszuwerden oder machen sie halt einfach zu.“

Ruth Piecha

Wenn Kliniken einfach schließen, hat auch die Politik keine richtige Handhabe mehr. Selbst wenn noch schnell ein Runder Tisch einberufen wird, um die Situation vielleicht doch noch irgendwie zu retten. Denn meistens hat sich das Personal bis dahin wegen der drohenden Schließung bereits anderweitig umgesehen. Und ohne Personal bleibt am Ende nur die Schließung. Daran ändere auch ein Gespräch am Runden Tisch nichts.

Die verbleibenden Geburtsstationen suchen indes händeringend nach Hebammen. Denn die suchen sich nicht einfach in einer anderen Klinik einen Job, sondern verlegen ihre Tätigkeit. Denn egal ob eine Hebamme freiberuflich als Beleghebamme oder festangestellt in einer Klinik arbeitet: es gibt da noch die Sache mit der Haftpflichtversicherung. Selbständige Hebammen zahlen ihre Versicherung grundsätzlich selber. Für Beleghebammen zahlen die Kliniken die Versicherungen, wobei die Hebammen meistens selbst auch noch etwas dazu zahlen, weil die Klinikversicherung nicht ausreicht.

„Die Hebammen sagen halt auch: Wir stehen halt oft mit einem Bein im Knast.“

Ruth Piecha

Wenn jetzt eine Hebamme in einer Klinik im Schichtbetrieb drei oder vier Frauen betreuen muss, steigt einfach das Risiko, dass Fehler passieren. Bedingungen, die für Hebammen die Arbeit extrem erschweren – und die manche einfach nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Statt Geburten zu betreuen bieten diese Hebammen nur noch Vor- und Nachsorge und vermehrt Yogakurse für Schwangere an, die von den Krankenkassen aktuell stark bezuschusst werden, oder eben Geburtsvorbereitungskurse.

Der Grund dafür, dass sich die Hebammenversicherung so verteuert hat, liegt auch im medizinischen Fortschritt. Heute können Kinder, die unter der Geburt zu Schaden gekommen sind, durch Intervention gerettet werden. Die Lebenserwartung hat sich zum Glück sehr erhöht. Aber aus Sicht der Versicherung zieht das auch Kosten nach sich – so zynisch es an der Stelle klingt, über Ökonomisches zu sprechen statt über die physischen und psychischen Folgen für Eltern und Kinder. Für die Versicherungen ist das in erster Linie ein Schadensfall, durch den bestimmte finanzielle Leistungen fällig werden.

„Wenn jetzt was passiert, ist das exorbitant viel, viel, viel teurer als es das früher war. Da kommen noch Verdienstausfälle mit hinzu und Sachen, die man so gar nicht auf dem Schirm hat.“

Ruth Piecha

Wie zum Beispiel Verdienstausfälle nicht nur der Eltern, sondern insbesondere der Kinder. Die Rechnung lautet: Wenn dieses Kind gesund auf die Welt gekommen wäre, was hätte es in einer bestimmten Lebensspanne in einem etwaig ergriffenen Beruf verdienen können, was es jetzt aufgrund körperlicher oder geistiger Schäden eben nicht mehr leisten kann. Da kommen exorbitante Summen zusammen – und deshalb steigt auch die Versicherung entsprechend. Das betrifft aber nicht nur die Hebammen, sondern auch Ärztinnen und Ärzte. Aber dadurch, dass die Geburtshilfe ja zu Beginn eines Lebens steht, sind die Lebensspannen auch länger, die versichert beziehungsweise entschädigt werden müssen.

Geburtshilfe rechnet sich nicht

Die Sache mit der Haftpflichtversicherung ist aber auch nur ein Teil des Problems. Denn was die Geburtshilfe so unrentabel macht, ist die Fallpauschale der Krankenkassen. Und die ist so niedrig, dass die Kosten, die bei einer Geburt anfallen, nicht gedeckt sind, erklärt Ruth Piecha. Weil natürliche Geburten sich grundsätzlich nicht gut planen lassen. Das heißt, egal ob gerade eine Frau im Kreißsaal liegt oder nicht – für den Fall, dass eine Frau mit Wehen kommt, muss alles parat sein. Mit anderen Worten: Es fallen auch dann Personalkosten an, wenn gerade keine Geburt stattfindet. Und auch der OP muss ständig einsatzbereit sein, egal ob der gebraucht wird oder nicht. Diese Kosten der Bereithaltung werden aber nicht mit in die Fallpauschale einkalkuliert.

„Das heißt, die ganze Geburtshilfe rechnet sich nicht und dann sind wir wieder da, wo wir vorher waren: Es wird an Personal gespart, das Personal was da ist, ist überlastet, geht und die Spirale nimmt ihren Lauf.“

Ruth Piecha

Jetzt könnten Frauen ja sagen: Gut, bekomm ich mein Kind eben zu Hause. Und, ja, risikoarme Geburten könnten theoretisch auch zu Hause durchgeführt werden. Es gibt allerdings nur wenige Hebammen, die auch eine Hausgeburt anbieten. Wer eine Hausgeburt möchte, müsste sich schon in der fünften Schwangerschaftswoche um eine Hebamme kümmern. Da wissen die meisten Frauen noch nicht mal, dass sie überhaupt schwanger sind. Für die Frauen heißt das, dass sie im Prinzip ab dem Tag, an dem sie überhaupt erst einen Test machen können, ob sie denn schwanger sind, schon entscheiden müssten: Wenn ich dieses Kind behalte, dann möchte ich eine Hausgeburt und sich dann schon im Geburtshaus melden, um dort eine Hebamme zu bekommen – oder eben einen Platz im Geburtshaus. Das ist zumindest die aktuelle Situation in Köln, erklärt Ruth Piecha.

Die Situation hat aber auch schon Folgen für die Frauen, bevor sie überhaupt im Kreißsaal ankommen. Denn es ist längst nicht sicher, dass eine Frau in den Wehen einen Platz im Kreißsaal bekommt, wie dieser Tweet vom 25. Januar 2019 zeigt. Und diese Unsicherheit stresst die Frauen enorm. Keine guten Voraussetzungen für eine entspannte Geburt, sagt Ruth Piecha.

„Eigentlich ist das wichtigste bei einer Geburt, dass man sich nicht stresst, weil das die Hormone aus dem Tritt bringt und die Geburt stoppt. Das heißt, man sollte einen geschützten Raum haben.“

Ruth Piecha

Es gibt natürlich Frauen, die bereit sind, für eine Hausgeburt oder eine Geburt in einem Geburtshaus aus eigener Tasche zuzuzahlen, um diesem Stress zu entgehen. Dabei zahlt man vor allem für die Rufbereitschaft. Voraussetzung dafür ist natürlich eine Schwangerschaft, die ohne Komplikationen verlaufen ist. Auch, wenn es sich bei diesen Zuzahlungen nicht um riesige Summen handelt und die Krankenkassen teilweise Gelder erstatten: Je nach finanzieller Lage können 300 bis 500 Euro sehr viel Geld sein. Damit sind Frauen, die finanziell schwächer dastehen, im Prinzip ausgeschlossen.

Das Traurige an der ganzen Sache: Eigentlich haben wir in Deutschland ein System bei der Betreuung von Frauen vor, während und nach der Geburt, auf das wir sehr, sehr stolz sind, sagt Ruth Piecha. Aber wir sind dabei, das gerade vor die Wand zu fahren. Während in Hessen gerade seitens der Krankenkassen grünes Licht gekommen ist für mehr Stillberatung zum Beispiel, fehlt es schlicht an Hebammen, die diese Leistung auch anbieten könnten.

„Es gibt Gegenden in Hessen, da bekommen 40-50 Prozent der Frauen keine Wochenbettbetreuung mehr.“

Ruth Piecha

Auch hier landen wir wieder beim Thema Geld. Denn es ist zwar grundsätzlich gut, dass die Kassen für die Vor- und Nachsorge der Frauen und Kinder mehr Leistungen übernehmen wollen. Das setzt aber einen Anreiz, der nicht hilfreich ist für die bessere Betreuung der Frauen während der Geburt. Denn das macht die Vor- und Nachsorgearbeit für Hebammen erheblich ökonomischer und attraktiver, während sie gleichzeitig das Risiko und den finanziellen Druck bei einer Geburt nicht mehr tragen müssen. Eine völlig nachvollziehbare Kalkulation. Denn Geburten sollen ja nicht zum teuren Hobby mutieren, bei dem die Hebammen im Zweifel auch noch draufzahlen.

Es fehlt aber ein finanzieller Anreiz für eine gute Versorgung unter der Geburt. Und da sind wir wieder bei der Fallpauschale der Krankenkassen. Die müssen schlicht so angepasst werden, dass sich auch natürliche Geburten lohnen, sagt Ruth Piecha, und dass sich auch kleine Geburtsstationen lohnen, die auch nicht unsicherer sind als große Geburtsstationen, wenn es sich nicht gerade um eine Risikoschwangerschaft beziehungsweise Risikogeburt handelt. Außerdem fordert Mother Hood e.V. einen festen Betreuungsschlüssel. Aktuell gibt es nämlich gar keinen. Und die beste Betreuung ist eine eins zu eins Betreuung. Also dass jede Frau unter der Geburt eine Hebamme hat, die auch während der Geburt bei ihr bleibt und nicht noch zwischen anderen Geburten hin und her springen muss.

Selbst aktiv werden

Um auf das Problem der fehlenden Hebammen oder auch der schlechten Betreuung aufmerksam zu machen, empfiehlt Ruth Piecha vor allem, sich bei den Krankenkassen zu melden. Denn sonst greift häufig die Logik: „Wo sich keiner beschwert, gibt es auch kein Problem“. Nachdem Mother Hood vor einiger Zeit Frauen aufgerufen hatte, sich bei den Krankenkassen zu melden, wenn sie Probleme bei der Suche nach einer Hebamme haben, wurde ziemlich deutlich: Doch, es gibt ein Problem – und das betrifft auch ziemlich viele Frauen. Auch Politiker:innen sollten aktiv auf die Situation in der Geburtshilfe aufmerksam gemacht werden.

„Wer kommt denn auf die Idee, die NRW-Gesundheitsministerin anzuschreiben, wenn er keine Hebamme findet?“

Ruth Piecha

Aber klar ist auch: eigentlich haben Frauen in der Schwangerschaft oder nach der Geburt auch besseres zu tun, als Beschwerdebriefe zu verfassen. An der Stelle kommt dann Mother Hood e.V. ins Spiel. Denn der Verein agiert deutschlandweit und vertritt die Interessen von Schwangeren und Eltern auch in der Landes- und Bundespolitik. Denn Geburtshilfe und auch die Pädiatrie, also die Kinderversorgung, sind in Deutschland nicht Teil der Grundversorgung. Es gibt aber Gespräche darüber, das in Zukunft zu ändern.

Eine weitere Lösung, um auch den Kostendruck zu reduzieren, wäre ein Haftpflichtfond, den es auch in anderen Ländern schon gibt. Damit würden die hohen Risiken bei einer Geburt gesellschaftlich aufgefangen werden. Denn eine so kleine Berufsgruppe wie die, der Hebammen und auch der Ärzt:innen auf Geburtsstationen, kann das Risiko eigentlich gar nicht durch Beiträge absichern.

Damit sich da etwas ändern kann, muss eine große Masse an Menschen aktiv werden. Auch um den Druck auf die Krankenkassen zu erhöhen, sich aktiv für eine Verbesserung einzusetzen, obwohl die vom Gesetz her erst mal nicht gefordert wird. Die größte Schlagkraft entwickeln solche Forderungen natürlich, wenn sich Menschen zusammenschließen. Das bietet zum Beispiel ein Verein, wie Mother Hood e.V., der sich aktuell nur durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert und für den Ruth Piecha ehrenamtlich tätig ist.

Und nur, um das an dieser Stelle transparent zu machen: Nein, auch ich bekomme kein Geld von Mother Hood e.V. dafür, dass ich diesen Podcast mit Ruth Piecha aufzeichne. Als Tante und Freundin habe aber auch ich einfach mitbekommen, welche Kämpfe und Ängste die Frauen in meinem Umfeld rund um die Geburt ihrer Kinder durchstehen mussten. Und einiges von dem, was ich da miterlebt habe, macht auch mich ziemlich sauer. Deshalb möchte ich gerne Information und Handlungsoptionen anbieten als Gegenmittel gegen resigniertes Schulterzucken. Eine dieser Handlungsoptionen ist eben, mit Ruth Piecha zu sprechen und ihr die Möglichkeit zu geben, die aktuelle Lage und den Verein Mother Hood e.V. vorzustellen, für den sie ehrenamtlich tätig ist.

„Es geht tatsächlich darüber, sich zusammenzuschließen. Gerade Frauen müssen da solidarisch sein und sich zusammenschließen und dann als große Masse laut werden.“

Ruth Piecha

Natürlich dürfen sich auch Väter und Männer, die sich um das Wohl von Frauen und Kindern rund um die Geburt sorgen, mitmachen. Aber aktuell zeigt die Erfahrung, dass sich vor allem Frauen um das Thema kümmern und dort aktiv werden.

Die Geburt als Tabu

Vielleicht müssen wir das Thema Geburt auch generell aus der Tabuzone holen. Denn selbst mit den inzwischen doch zahlreich verfügbaren Informationen und Videos rund um die Geburt im Netz, bleibt das, was in den Kreißsälen vor sich geht, doch immer noch ein Mysterium. Ruth Piecha jedenfalls fühlte sich nach ihrem Geburtsvorbereitungskurs nicht sonderlich gut vorbereitet. Und auch die häufig und viel propagierte Ruhe nach der Geburt sieht sie zwiespältig.

Denn natürlich ist es schön, das Neugeborene erst mal in Ruhe kennenzulernen. Aber – so ging es zumindest Ruth Piecha – irgendwie wollte sie diese Freude über ihre Kinder auch gerne teilen. Bei Freunden und Bekannten beobachtet sie allerdings häufig Unsicherheit und Zurückhaltung, wann man sich jetzt nach einer Geburt melden darf. Man will ja nicht stören. Deshalb ermutigt sie Eltern von Neugeborenen:

„Holt euch jeden ins Haus, den ihr irgendwie da haben wollt. Ihr hockt sonst alleine mit eurem Kind zu Hause und keiner kommt gucken!“

Ruth Piecha

Auch die Frage, wer eigentlich bei der Geburt dabei sein kann oder soll, beantwortet sie nicht ausschließlich mit: Natürlich der Mann. Ihr habe es geholfen, eine Freundin auf Standby gehabt zu haben, die weiß, wie die Nummer mit dem Kinder kriegen läuft. Für den Fall, dass ihr Mann aus irgendwelchen Gründen nicht kann. Oder dass die Geburt wie beim ersten Kind läuft und sie die meiste Zeit alleine da durch muss, weil die Hebamme anderweitig beschäftigt ist.

Am Ende ist es ein Plädoyer dafür, die Geburt wertzuschätzen. Von der Politik, aber auch von der Gesellschaft. Als normales Ereignis das ganz selbstverständlich zum Leben dazugehört. Aber auch als existentielle Erfahrung, die Frauen da erleben. Und für die sie einen sicheren Ort und eine sichere Umgebung brauchen.

Weiterführende Links zum Thema:

Podcastgespräch mit der Hebamme Alexandra Kozma:

Arte-Doku zum Thema Hebammenmangel: