Die erste Woche mit Kontaktsperre ist um. Und für jede:n ist sie ein bisschen anders verlaufen. In den sozialen Netzwerken sprechen viele Menschen von ihren Erfahrungen mit dieser ersten Woche. Über Erschöpfung, Langeweile, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen – und die Erfahrungen im Homeoffice.

Vieles davon kenne ich auch und deshalb habe ich noch mal mit meiner Freundin Ulrike Sckaer darüber gesprochen. Sie arbeitet als ärztliche Psychotherapeutin in Köln und natürlich haben die Kontaktbeschränkungen und die Corona-Pandemie auch Auswirkungen auf ihre Arbeit mit ihren Patient:innen.

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Woche zwei der Kontaktsperre ist angebrochen – und deshalb wollte ich natürlich als erstes wissen, wie Psychotherapeutin Ulrike Sckaer und ihre Patient:innen damit umgegangen sind. Und erstaunlicherweise klappt die Umstellung ganz gut. Denn obwohl einige Patient:innen nicht den Weg in die Praxis geschafft haben, konnten sie das Angebot einer Online-Sitzung nutzen. Und für eine kurze Zeit, sagt Ulrike Sckaer, geht das auch. Es ersetzt aber natürlich nicht den richtigen Kontakt.

Was da genau fehlt, wenn ihre Patient:innen nicht im Raum sitzen, sondern nur per Video zugeschaltet sind, kann die Psychotherapeutin noch gar nicht so richtig beschreiben. Denn auch für sie ist das jetzt eine neue Erfahrung, nicht mit ihren Patientinnen und Patienten in einem Raum zu sein. Aber natürlich fehlen Informationen, auch unbewusster Natur, wie zum Beispiel Geruch oder auch das erspüren von Unstimmigkeiten. Außerdem kann die zwischengeschaltete Technik auch ablenken, zum Beispiel wenn man sich auch um das eigene Erscheinungsbild kümmert. Manchmal macht Ulrike Sckaer dann auch einfach die Kamera aus und hört nur zu.

„Manchmal mach ich dann auch die Kamera aus und hör nur zu. Das ist auch sehr intensiv. Da fehlen zwar die optischen Eindrücke, aber gleichzeitig bin ich dann wirklich ganz Ohr und kann da viel besser dabei sein.“

Ulrike Sckaer

Aber bei allen Defiziten zur realen Begegnung zwischen Patient:in und Therapeutin: Es ist besser als gar nichts. Denn ohne die Möglichkeit sich digital zusammen zu schalten, könnten einige Menschen ihre Therapietermine gar nicht wahrnehmen. Und inzwischen ist auch anerkannt, dass die Kassen diese Videositzungen übernehmen. Es gibt zwar bereits seit Anfang 2020 die Möglichkeit von Videosprechstunden. Aber nicht ohne Begrenzung. Das ist mit der Corona-Pandemie glücklicherweise angepasst worden.

„Letztendlich sollen die Patienten aber schon auch noch oder eher in die Praxis kommen.“

Ulrike Sckaer

Neben Therapieangeboten steigt aktuell aber auch der Bedarf an Beratungsangeboten. Zum Beispiel für Menschen, die mit der beengten Situation nicht so gut zurecht kommen. Sei es jetzt in einer Paarbeziehung oder als Familie. Nicht immer ist direkt eine Therapie notwendig. Aber gerade Familienberatung wäre aktuell sehr hilfreich. Ein umfassendes Angebot dazu habe ich bislang nicht gefunden. Nehme aber gerne Hinweise entgegen.

„Wenn ich jetzt eine Beratung suchen würde, würde ich mich erstmal an die bekannten Stellen der Ehe- und Lebensberatung, Telefonseelsorge oder den Kinderschutzbund wenden.“

Ulrike Sckaer

Das Zeitgefühl ist aus dem Takt geraten

Ein anderes Thema, das gerade sehr viele Menschen umtreibt, ist das veränderte Zeitgefühl. Während die einen sich eher langweilen, haben andere das Gefühl, deutlich weniger zu schaffen als sonst, obwohl zum Beispiel der Weg zur Arbeit weg fällt. Und trotzdem stellen sie am Abend eine große Erschöpfung fest. Und zwar unabhängig davon, ob Kinder im Haushalt leben oder nicht. Da stellt sich die Frage, was uns eigentlich gerade die Zeit klaut. 

Das Phänomen ist der Psychotherapeutin bislang nur von Menschen bekannt, die in den Ruhestand gehen. Die sagen häufig auch, dass sie gar nicht mehr so viele Termine haben und ihnen dennoch die Zeit davon rennt. Die eine Vermutung ist, dass wir uns einfach – ohne es zu merken, mehr Zeit lassen. Weil uns auch die Struktur fehlt und wir uns erst mal in die neue Situation einfinden müssen. Wir konnten uns ja nicht auf die Situation vorbereiten und müssen jetzt schnell neue Lösungen finden. Vielleicht vergessen wir auch einfach, dass genau das eben auch Zeit braucht. Das etablieren neuer Arbeitsabläufe und Strukturen, wenn alte eben wegfallen.

Und was eben auch fehlt, ist die Zeit mit angenehmen und schönen Dingen zu verbringen. Zum Beispiel ins Café zu gehen oder ins Kino zu gehen, sich mit Freund:innen treffen – all das sind Dinge, die wir mit Freizeit verbinden, die jetzt aber eben nicht gehen.

„Da fehlt dann so ein Input und die Zeit verläuft gleichförmig und da ist eine Stunde wie die andere, wenn man da nichts Besonderes unternimmt.“

Ulrike Sckaer

Zusätzlich benötigen wir einfach auch gerade Zeit, um alles zu verarbeiten. Seien es neue Informationen zur Corona-Pandemie oder auch unsere Gefühlslage in dieser Situation. Auch verarbeiten ist nämlich Arbeit – steckt ja im Wort drin – und die erledigen wir eben nicht einfach so nebenbei, sondern auch die braucht einfach Zeit.

Pausen und Homeoffice

Was uns häufig auch fehlt, sind die Pausen. Gerade im Homeoffice. Der kleine Plausch an der Kaffeemaschine zum Beispiel, die Zigarette auf dem Hof, bei der man sich austauscht, der Gang in ein anderes Büro, um mal mit jemandem persönlich zu sprechen – all das fällt im Homeoffice weg und wir kleben an unserem Platz (für Menschen mit Kindern mag sich das durchaus anders gestalten, aber das sind dann meist auch keine Pausen, sondern neue, andere Anforderungen, die da gestellt werden, die vielleicht gar nicht so sehr als Erholung gesehen werden).

Aber grundsätzlich sind im Homeoffice unsere Arbeit und unser Arbeitsplatz dauernd verfügbar. Und es ist gar nicht so leicht, da den richtigen Zeitpunkt für den Feierabend zu finden. Also mir gelingt das jedenfalls nicht. In diesem Fall appelliert Ulrike Sckaer dann an die innere Chefin. Die muss sich nämlich darum kümmern, dass wir irgendwann auch mal Feierabend machen. Auch wenn danach nichts auf uns wartet – also keine abendliche Verabredung zum Essen oder ein Treffen zum Grillen im Park, für das wir gerne auch die Arbeit mal links liegen lassen.

Meine innere Chefin jedenfalls bekommt ordentlich Ärger mit der Gewerkschaft, wenn sie so weiter macht. So viel steht schon mal fest. Aber für alle, die das mit ihrer inneren Chefin besser aushandeln wollen, als es mir gelingt: Auch hier hilft Struktur. Duschen, Kaffe machen, ordentliche Klamotten anziehen, vielleicht eine Runde um den Block gehen, um einen Arbeitsweg zu simulieren – all das kann uns helfen in einen Arbeitsmodus zu kommen. Und bevor sich jetzt davon jemand gestresst fühlt: Gelingt mir alles nicht, ich sehe aber durchaus ein, dass das sehr vernünftige Vorschläge sind.

„Ich glaube, das ist ganz wichtig, wenn man jetzt zu Hause arbeitet, dass man sich richtige Arbeitszeiten setzt. Also sein eigener Chef oder seine eigene Chefin ist. Die kann auch nett sein die Chefin, aber sie ist dennoch streng. Streng, aber gerecht.“

Ulrike Sckaer

Ihr könnt also durchaus mit eurer inneren Chefin oder eurem inneren Chef verhandeln. Aber auf ein „ich hab heute keine Lust zu arbeiten“ antwortet sie oder er: „Natürlich gehst du heute zur Arbeit“. Zumindest dann, wenn ihr was geschafft bekommen wollt und einen inneren Motivator braucht.

Schlafstörungen

Was ich in den sozialen Netzwerken auch festgestellt habe: Viele Menschen berichten darüber, dass sie aktuell schlechter schlafen und zwischen drei und vier Uhr morgens wach werden und wach bleiben. Eine Ferndiagnose für den Einzelfall ist natürlich schwierig. Die soll es hier gar nicht geben. Aber eine mögliche Erklärung ist durchaus, dass die gesamte Situation auf einer unbewussten Ebene wirksam ist. Es kann auch durchaus sein, dass vielen Menschen gerade die Bewegung fehlt, die sie sonst haben, weil sie weniger raus gehen oder sich nicht beim Sport auspowern. Denn auch viele Vereine sind ja geschlossen – und gemeinsam Sport machen ist für einige Menschen deutlich motivierender als alleine durch den Park zu joggen.

Wichtig ist, sich in Fällen von Schlaflosigkeit Wege zu suchen, den Geist zu beruhigen. Im Vorteil sind hier tatsächlich aktuell Menschen, die sich bereits mit Meditation oder Yoga beschäftigen. Denn die haben gelernt, ihre Atmung und damit auch ihr Stresslevel zu kontrollieren. Aber es kann sich durchaus auch jetzt noch lohnen, sich diese Techniken anzueignen. Denn die Situation wird uns voraussichtlich noch länger beschäftigen.

„Atemübungen gegen Stress und Angst, wenn man die mal erlernt hat, kann man die immer brauchen. Auch wenn man mal vor einem Zahnarztbesuch Angst hat. Es ist sicher eine gute Zeit, die jetzt mal zu erlernen.“

Ulrike Sckaer

Emotionalität und Stimmungsschwankungen

Ein anderes Phänomen, das sich gerade beobachten lässt, ist eine gesteigerte Emotionalität. Also dass uns Dinge schneller rühren oder traurig machen. Dass uns mal ein Tränchen kullert, wo wir vorher vielleicht nur flüchtig reagiert hätten. Das ist natürlich grundsätzlich nicht Schlimm, wenn wir emotional sind, aber es stellt sich doch die Frage, woher das kommt.

„Ich kann mir vorstellen, dass das gerade so eine Situation ist, in der man durchaus dünnhäutig geworden ist.“

Ulrike Sckaer

Es kann sein, dass wir damit auf fehlende reale Kontakte reagieren. Denn auch taktile Begegnungen fehlen uns jetzt einfach, wie zum Beispiel eine Umarmung oder auch bloß ein Händeschütteln. Es ist einfach was anderes, wenn wir jemandem die Hand geben. Auch dadurch erhalten wir Informationen über unser Gegenüber. Ist der Händedruck fest oder schlapp, wie fühlt sich die Haut an, sind die Hände feucht oder trocken … all das vermittelt uns etwas über die Person, der wir die Hand schütteln. Und Umarmungen – klar – die dürften wohl auch den allermeisten von uns fehlen.

Es gibt Menschen, die gerade morgens aufwachen und sich selber im Arm haben. Aber auch sich in eine Decke einkuscheln kann ein Gefühl von Verborgenheit geben. Und – ja – auch Erwachsene haben Kuscheltiere, die sie in solchen Zeiten einfach auch brauchen, um etwas im Arm zu haben. Oder das Kissen vom Partner oder der Partnerin, die man gerade nicht sieht. Es kann sogar helfen, sich selber anzufassen und zu streicheln – auch ohne sexuellen Kontext. OK ist, was hilft. Und sich schämen, weil man ein Kuscheltier mit im Bett hat, muss sich auch keine:r. Sieht ja im Zweifelsfall niemand also gibt’s auch keinen Grund, sich zu schämen. Probiert einfach aus, was euch persönlich in der aktuellen Situation hilft.

Und auf der anderen Seite: Es gibt einfach gerade auch ganz viele Geschichten, die uns persönlich sehr berühren. Auch viele traurige Geschichten. Und natürlich reagieren wir darauf, sind betroffen, berührt oder eben einfach traurig.

Das Gefühl, beobachtet zu werden

Etwas, dass uns durchaus auch unter Spannung setzt: Wir müssen uns plötzlich viel mehr Gedanken darüber machen, wenn wir das Haus verlassen. Hände waschen, Maske hochziehen, Schlange stehen und ständig auf genügend Abstand zu anderen Mitmenschen achten. Gerade in der Stadt ist letzteres eine Herausforderung. Denn auch wenn deutlich weniger Menschen unterwegs sind, es sind immer noch viele. Die Anspannung rührt auch daher, dass wir nichts falsch machen wollen. Weil wir nicht schuld sein wollen, wenn sich jemand ansteckt, weil wir vielleicht doch nicht alles richtig gemacht haben. Und wer etwas falsch macht wird gerade auch durchaus von anderen zurechtgewiesen. Die soziale Kontrolle steigt also.

Das ist zwar ein gewisser Druck, der da auf uns lastet, aber für Schuldgefühle wäre es zu früh. Das wäre dann schon ein latent neurotisches Phänomen. Denn wir sollten uns nicht für etwas schuldig fühlen müssen, woran wir keine Schuld haben. Wer jetzt nach bestem Wissen und Gewissen handelt und die Empfehlungen befolgt, macht alles, was möglich ist, um andere nicht zu gefährden. Aber es gibt einfach keine hundertprozentige Sicherheit vor einer Ansteckung. Wer sich also trotz allem ansteckt und unwissend das Virus weitergibt, ist nicht schuld.

„Du weißt es ja nicht. Du verhältst dich ja so, wie es im Moment die Regeln und Normen sind, was im Moment als sinnvoll erscheint. Und trotzdem wissen wir ja auch, dass das alles nicht hundertprozentig sicher ist. „

Ulrike Sckaer

Grundsätzlich sind Schuldgefühle aber nichts Schlechtes. Sie helfen uns, durchs Leben und unsere Beziehungen zu navigieren. Wer wissentlich und absichtlich jemandem auf den Fuß tritt und ihm oder ihr damit Schmerzen zufügt, hat allen Grund, sich schuldig zu fühlen. Wer aber versehentlich jemandem auf den Fuß tritt, bittet in der Regel um Verzeihung – und das, obwohl keine Absicht vorlag. Die Person muss sich aber nicht mit Schuldgefühlen plagen. Wohingegen bei der Person, die absichtlich gehandelt hat, Schuldgefühle durchaus angebracht sind.

„Es ist immer wichtig, sich zu sagen: Wir können nur das machen, was wir für richtig halten. Und wir werden wahrscheinlich alle Fehler machen.“

Ulrike Sckaer

Trotzdem hilft es vielleicht, sich bei allem Stress bewusst zu machen, dass wir gemeinsam in dieser Situation sind – und wahrscheinlich alle hier und da einen Fehler machen. Entweder weil wir es zu dem Zeitpunkt nicht besser wussten oder weil wir es schlicht für einen Moment vergessen haben. Es muss nicht allem Absicht zu Grunde liegen. Sicher ist allerdings, dass diese neuen Regeln und unser Umgang miteinander, was die Einhaltung dieser Regeln angeht, nachhaltigen Einfluss auf uns haben wird. Nur welchen, das lässt sich gerade noch nicht absehen.