„Perfekte Pflege wäre eigentlich, wenn wir vom Fall ausgehen.“

Am liebsten sind wir ja eigentlich alle fit und gesund. Aber wenn wir dann doch mal krank sind, freuen wir uns, wenn jemand da ist, der uns gut versorgt. Und im Prinzip kann uns das ständig treffen, dass wir zumindest vorübergehend mal auf Pflege angewiesen sind. Denn während sich Ärztinnen und Ärzte um Untersuchungen und Diagnosestellung kümmern, wird die Versorgung kranker Menschen durch Pflegende übernommen.

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Zu diesen Pflegenden gehört Franziska Jagoda. Sie hat zunächst ihren Bachelor in Gesundheits- und Krankenpflege in einem dualen Studium an der Fachhochschule in Bielefeld gemacht. Das heißt, sie hat sowohl die Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert – oder Krankenschwester, wie wir umgangssprachlich gerne sagen – und mit einem Examen abgeschlossen als auch parallel dazu studiert. Inzwischen macht sie ihren Master in Pflegewissenschaft an der Universität Witten/Herdecke und zusammen mit Komilliton:innen den Podcast „Übergabe“, ein Podcast über Krankenpflege und alles, was damit zusammenhängt.

Eigentlich wollte Franziska Jagoda Medizin studieren. Das hat aber, sagt sie, aus verschiedenen Gründen nicht geklappt. Stattdessen ist sie in die Pflege gegangen. Denn auch da gibt’s ein Studium – und viele Möglichkeiten, sich im Sinne von Patientinnen und Patienten zu engagieren.

„Ich wollte unbedingt studieren. Ich hab immer das Gefühl gehabt, im Studium lernt man noch mal mehr irgendwie mit den Dingen umzugehen, und das war mir wichtig, das zu machen.“

Franziska Jagoda

Wer Pflegewissenschaft studiert, geht der Pflege in der Praxis nicht unbedingt verloren. Auch viele Masterstudierende arbeiten immer noch nebenbei im Krankenhaus oder anderen Pflegeeinrichtungen. Franziska Jagoda allerdings konzentriert sich inzwischen komplett auf die wissenschaftlichen Aspekte, die mit der Pflege zusammenhängen. Denn sie möchte später in die Forschung.

Wer Gesundheits- und Krankenpflege studiert, so heißt der Studiengang aktuell, macht im Prinzip das gleiche, was vorher examinierte Krankenschwestern auch gemacht haben.

„Gesundheits- und Krankenpflege zu studieren unterscheidet einen in den Tätigkeiten eigentlich hinterher erst mal großartig, was jetzt – sagen wir mal in Anführungsstrichen – ne „Krankenschwester mit Ausbildung“ macht. Wir haben nur nochmal einen wissenschaftlichen Input bekommen.“

Franziska Jagoda

Das heißt, die Studierenden beschäftigen sich zusätzlich auch zum Beispiel mit Fallbewertungen und machen sich ein ganzheitliches Bild von ihren Patient:innen, um herauszufinden, wie die Pflege noch optimiert werden kann. Mit dem Studium der Gesundheits- und Krankenpflege soll die Ausbildung in Deutschland an die EU-Standards angepasst werden, sagt Franziska Jagoda. Denn in den meisten Ländern der EU haben Pflegende studiert.

„Es ist eigentlich so, dass in Europa in jedem Land Pflege studiert wird. Und dass wir hier in Deutschland das nicht tun müssen.“

Franziska Jagoda

Im Studium geht es auch darum, als bewährt angenommene Methoden aus der Pflege nochmal wissenschaftlich zu überprüfen. Hat eine Behandlung wirklich den gewünschten Effekt? Oder ist sie zwar aufwändig, aber doch nicht zielführend. Als Beispiel nennt Franziska Jagoda eine Methode, die „Eisen und föhnen“ genannt wird. Es geht um eine Prävention gegen das Wundliegen. Dabei werden die Stellen, auf denen der Patient oder die Patientin liegt, abwechselnd mit Kälte und Wärme behandelt, um die Durchblutung anzuregen. Die Methode ist sehr zeitaufwändig und es war lange nicht geklärt, ob die Kalt-Warm-Anwendungen wirklich zu einer Verbesserung führen oder ob es eher das Wenden und Bewegen der Patient:innen während der Behandlung ist.

Der Faktor Zeit im Klinikalltag

Aktuell gibt es noch nicht allzu viele Krankenpfleger:innen mit Bachelor-Abschluss in Deutschland. Franziska Jagoda schätzt, dass das aktuell maximal etwas mehr als ein Prozent sind. Das heißt aber auch, dass es dafür noch nicht so richtig viel Aufmerksamkeit gibt seitens der Kliniken. Dort sind die Hierarchien immer noch recht streng. Und Ärzt:innen wissen oft nicht, ob sie es jetzt mit examinierten Krankenpfleger:innen zu tun haben oder eben mit Studierenden der Pflegewissenschaft. Was natürlich grundsätzlich nicht heißen soll, dass die einen mehr Aufmerksamkeit und Respekt als die anderen verdient hätten qua Abschluss. Das wäre sicher absurd. Aber gerade in streng hierarchischen Systemen ist es schwierig, Kommunikation auf Augenhöhe herzustellen. Und da kann ein Studienabschluss mitunter helfen, ernst genommen zu werden.

Was Franziska Jagoda auch von Vorteil findet: Dadurch, dass ihr wissenschaftliche Evaluationsmethoden zur Verfügung stehen, kann sie anders über ihre Erfahrungen reflektieren. Zum Beispiel, indem sie sich die Zeit nimmt, herauszufinden, wie sie mit Alzheimerpatient:innen umgeht, die bestimmte Verhaltensmuster aufweisen, die sie zunächst als schwierig empfindet. Welche Möglichkeiten hat sie, mit diesem Verhalten umzugehen? Lässt sich ein Muster ableiten? Gibt es dazu bereits bestimmte Forschungsansätze? Gibt es Ursachen oder Auslöser für dieses Verhalten? Solche Evaluationen kosten natürlich Zeit. Und Zeit ist in der Pflege ein extrem kritischer Faktor. Als Forschende steht ihr deutlich mehr Zeit für solche Evaluationen zur Verfügung als den Pflegekräften auf Station.

Denkbar wäre auch eine Art Supervision für Krankenpfleger:innen, um eben bestimmte Erlebnisse und Situationen mit Patient:innen nochmal neu und in einem geschützten Raum reflektieren zu können. Es gibt zwar entsprechende Ideen, aber an der Umsetzung hapert es, sagt Franziska Jagoda. Was der Master-Studentin wichtig ist zu betonen: Es muss einen Wissenstransfer von der Forschung zurück in die Praxis geben. Zum Beispiel durch regelmäßige Workshops oder Fortbildungen. Viele der Masterstudierenden gehen nach ihrem Abschluss aber auch in die Gesundheitsberatung. Zum Beispiel bei Krankenkassen, Versicherern oder eben in Pflegeeinrichtungen.

Pflegequalität muss verbessert werden

Insgesamt, sagt Franziska Jagoda, hapert es in der Pflege aber nicht nur an Zeit und Geld. Auch die Qualität der Pflege könne noch deutlich verbessert werden. Über die Forschung lassen sich Erkenntnisse darüber gewinnen, wie wirksam zeit- und arbeitsintensive Anwendungen wirklich sind und ob es nicht inzwischen effektivere Methoden gibt, die sowohl die Krankenpfleger:innen entlasten als auch den Patient:innen besser helfen.

„Die Patientinnen und Patienten, was die halt mitbringen ins Krankenhaus, ist halt mittlerweile sehr komplex. Also die bringen halt ihre Erkrankungen mit. Die bringen aber auch vielleicht ihre sozialen Probleme mit, soziales Umfeld und wir müssen halt versuchen, darauf adäquat zu reagieren.“

Franziska Jagoda

Das heißt, es wird auch eine bessere Vermittlung von kommunikativen, soziologischen und psychologischen Kompetenzen benötigt. Denn die Anforderungen diesbezüglich an Krankenpfleger:innen steigen.

„Nicht jeder in der Pflege braucht nen Master. So’n Skillmix zu haben ist schon gut. Von daher, es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn wir mehr Leute haben, die nen Bachelor haben. Das würde schon reichen erst mal.“

Franziska Jagoda

Interessanterweise ist Digitalisierung noch kein allzu großes Thema in der Krankenpflege. Und das obwohl auch in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen die Digitalisierung zunimmt. In Form von digitalen Krankenakten zum Beispiel. Auch die Intensivmedizin ist abhängig von digitaler Technik. Bisher ist Franziska Jagoda dieses Thema aber weder im Bachelor- noch im Masterstudium begegnet.

„Eine elektronische Akte zu haben, wo viele Leute dann auch gleichzeitig reingucken können und man nicht immer mit der Kladde über die Station laufen muss, weil irgendjemand hier noch irgendwo was eintragen muss. Das würde schon vieles wahrscheinlich auch an Zeitgewinn bringen.“

Franziska Jagoda

Auch Doppeldokumentation wäre so vermeidbar – oder auch Fehler bei der Übergabe, weil Informationen schlicht vergessen wurden, was bei einem so stressigen Alltag, wie es ihn oft in Kliniken und Pflegeeinrichtungen gibt, nicht verwunderlich ist.

Als Studentin auf Station

Als Franziska mit ihrem dualen Studium angefangen hat, war sie erst der zweite Jahrgang. Entsprechend häufig musste sie erklären, was sie da eigentlich macht und dass sie nicht Auszubildende ist, sondern Studentin. Inzwischen gibt es immer mehr Studierende und entsprechend verbreitet sich auch das Wissen darüber, was denn so ein Bachelorstudium der Pflege im Klinikalltag bedeutet.

Aber grundsätzlich läuft der Informations- und Kommunikationsaustausch zwischen den Arbeitsstellen oder auch Universität und Ausbildungsstätten ein wenig schleppend. An dieser Stelle setzt auch der „Übergabe“-Podcast an.

„Ich gehöre auch zur Pflege, auch wenn ich nicht in einem Krankenhaus oder sonstwo arbeite, sondern in einem Institut arbeite. Aber ich gehöre auch noch zur Pflege.“

Franziska Jagoda

Während des Bachelor-Studiums arbeiten die Studierenden abwechselnd auf verschiedenen Stationen und besuchen Vorlesungen an der Uni oder Fachhochschule. Das heißt, es wird in Blöcken ausgebildet. Auf einen Praxisblock folgt ein Theorieblock. Zumindest war das so bei Franziska Jagodas Studium an der Fachhochschule in Bielefeld. Insgesamt gibt es aktuell laut der Seite pflegestudium.de in Deutschland übrigens 74 Standorte an denen Pflege studiert werden kann.

Die Pflege der Zukunft

Wenn sich Franziska Jagoda sich wünschen könnte, wie die Pflege der Zukunft aussieht, dann wünscht sie sich vor allem mehr Wissen darüber, wie Patient:innen besser versorgt werden können. Und auch eine bessere, interdisziplinäre Zusammenarbeit würde sie sich wünschen.

„Perfekte Pflege wäre eigentlich, wenn wir vom Fall ausgehen. Also wenn wir von der Patientin oder vom Patienten aus her denken.“

Franziska Jagoda

Dafür müssten viele Abläufe in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen flexibler gestaltet werden können. Für die Patient:innen, aber auch für die Pflegenden. Da spielt Zeit eine entscheidende Rolle. Und auch der Betreuungsschlüssel. Also wie viele Patient:innen auf eine Krankenpfleger:in kommen – und wie intensiv die jeweiligen Patient:innen betreut werden müssen. Und am Ende, klar, wäre es natürlich auch noch wünschenswert, wenn die Bezahlung stimmen würde, so dass genug Leute sich überlegen, den Job zu machen.

Wenn Franziska Jagoda davon spricht, dass aktuell nicht genügend von den Patient:innen aus gedacht wird, dann geht es auch um Routineabläufe, die mal mehr und mal weniger sinnvoll sind. Zum Beispiel die Überwachung des Blutdrucks bei einer Person, die ganz grundsätzlich kein Problem mit dem Blutdruck hat. Dafür benötigt diese Person aber zum Beispiel Unterstützung von einem Physiotherapeuten oder einer Physiotherapeutin. Diese Person dann einfach zur Verfügung zu haben und nicht erst Stunden oder sogar einen Tag später, das wäre für Franziska Jagoda optimal. Es geht also um eine Individualisierung der Pflege an der Stelle, und dass die nötigen Ressourcen auch zur Verfügung stehen.

Wünschenswert fände Franziska Jagoda auch, wenn es Module gäbe, die helfen, mit den psychischen Belastungen des Berufs besser umzugehen. Wo entstehen Stress und Belastung, und wie kann dafür gesorgt werden, dass Pflegekräfte besser damit umgehen können? Auch das wird in Ausbildung und Studium vernachlässigt, wäre aber ein wichtiger Punkt.

„Es gibt viele Leute, die aussteigen aus der Pflege und Burn out haben. Und das ist vielleicht auch so ne Sache, die dazu auch nochmal beiträgt, dass man gar nicht richtig lernt, mit wirklich harten Situationen umzugehen. Das ist jetzt ne These, aber ich kann es mir vorstellen.“

Franziska Jagoda

Aktuellen Zahlen zufolge bleiben Pflegekräfte in der Krankenpflege im Schnitt 7,5 Jahre und in der Altenpflege etwas mehr als 8 Jahre. Die hohe Ausstiegsrate ist angesichts der aktuell alternden Bevölkerung ein Problem zumal der Nachwuchs fehlt, der dann nicht nur in die Pflegeberufe einsteigt, sondern da auch dauerhaft bleiben will.

Auch für Franziska Jagoda war der Pflegeberuf nicht die erste Wahl. Aber grundsätzlich hatte sie großes Interesse, im medizinischen Umfeld zu arbeiten. Und natürlich gehört dazu, dass sie gerne mit Menschen arbeitet.

„Jemand, der gerne in der Pflege arbeitet, muss es auch mögen, dass unterschiedliche Charaktere kennenlernt, dass man sehr viele unterschiedliche Geschichten hört.“

Franziska Jagoda

Und was Franziska Jagoda auch Spaß macht: Die Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten, zumindest dann, wenn die gut funktioniert. Und irgendwie ist es auch einfach spannend, dieses Gefüge im Krankenhaus, das Aufeinandertreffen so vieler verschiedener Persönlichkeiten und Disziplinen.

Und genau deswegen gibt es aktuell Überlegungen, verschiedene Inhalte in diesem Bereich gemeinsam zu lehren. Also zum Beispiel die Bachelorstudierenden in der Pflege gemeinsam mit den Medizinstudierenden zu unterrichten in gewissen Modulen. Einfach, damit später die Kommunikation besser klappt, weil beide Seiten noch mehr Einblick in die Aufgaben des jeweils anderen bekommen.

„Ich glaube, dass dadurch Teamarbeit nochmal einfacher wird, wenn man versteht, was die andere Profession eigentlich macht.“

Franziska Jagoda

Dazu wollen Franziska Jagoda und ihre Mitpodcaster:innen auch im Übergabe-Podcast beitragen. Mehr über die Pflege informieren, Themen setzen, Diskussionen anregen. Gemacht ist der Podcast für alle Pflegenden, sagt Franziska Jagoda, aber auch für alle, die sich ganz grundsätzlich für das Thema Pflege interessieren. Aber auch allen anderen aus dem Gesundheitswesen empfiehlt sie den Podcast.

Es geht zum Beispiel um die Akademisierung der Pflege, was die Pflegekammer ist, was man sich unter ANP – also Advanced Nursing Practice vorstellen kann, aber auch, was zum Beispiel die Parteien bei der Europawahl zum Thema Pflege anzubieten hatten. Es sind also wirklich sehr unterschiedliche Themen im Bereich der Pflege, die nicht nur für Menschen in Pflegeberufen interessant sind, sondern vielleicht auch für die Angehörigen pflegebedürftiger Menschen.

Vielleicht wird ja auch das ein oder andere Krankenhausradio auf den Podcast aufmerksam.

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