Ein Gespräch mit der Künstlerin Pau Quintanajornet über Reisen, Kunst und Feminismus. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Lateinamerika.

Eine blaugrüne Wand in Ehrenfeld hat dafür gesorgt, dass sich unsere Wege kreuzen. Denn Pau ist Street-Artist und hat die Wand gemalt, die ihr auf meinem Foto hier auf der Website seht. Und ich hoffe, dass ich nie so alt werde, dass ich mal neue Fotos machen muss. Denn ich liebe die Kunst von Pau sehr.

Paulina Quintanajornet, genannt Pau, malt, seit sie denken kann. Ihre Farben leuchten schon von weitem und ihren Bildern wohnt eine ganz eigene Bewegung inne. Eine, die mich ruhig werden lässt, weil ich mich ausnahmsweise mal nicht selbst bewegen muss. Und was mich noch viel mehr fasziniert, ist die Größe von Paus Kunstwerken. Die zieren nämlich gerne mal ganze Hauswände.

Was Pau daran so fasziniert riesige Murals zu malen ist nicht nur die Herausforderung an der Wand. Durch ihre Arbeit wird sie für einige Zeit Teil des Umfeldes, in dem sie arbeitet. Sie beobachtet die Menschen auf der Straße – und die Menschen auf der Straße beobachten sie. Einige stellen Fragen – mal nette, mal nicht so nette – aber es ist immer ein Kontakt. Und genau diese soziale Interaktion macht für Pau den besonderen Reiz aus. Eine der häufigsten Fragen, die ihr begegnen: Wer bezahlt sowas überhaupt? Eine Frage, die nicht nur in Deutschland gestellt wird. Aber eignetlich braucht Pau für ihre Kunstwerke keine Worte, denn ihre Gemälde sprechen eine universelle Sprache, die überall auf der Welt verstanden wird.

„Das was ich male, kannst du überall hinbringen, weil etwas ist, das überall erkennbar ist. Also Vögel, Blumen, Farben, geschwungene Sachen – das ist eben sehr organisch. Man kann wirklich reintauchen – und ich glaub, das möchte ich eigentlich machen, ohne viel Erklärung.“

– Pau Quintanajornet –

Geboren ist Pau in Chile, aufgewachsen ist sie in Deutschland. Mit Nationalitäten kann sie nicht so viel anfangen. Sie sieht sich als Lateinamerikanerin und Europäerin. Ihre Heimat, sagt sie, hat sie in dem gefunden, was sie macht. Und das ist eine ganze Menge. Denn mit ihrer Kunst ist sie schon ganz schön rumgekommen in der Welt: Neben Chile und Deutschland hat sie unter anderem Wände in Ägypten gemalt, war in den USA und zuletzt in China.

Vor allem die Reise nach China hat sie an ihre Grenzen gebracht – und darüber hinaus. Denn eigentlich war geplant, dass sie auch dort eine Wand malt – für ein Projekt mit Kindern. Aber immer wieder gab es Probleme – mal war es das Wetter, mal das Material. Pau wäre allerdings nicht Pau, wenn sie nicht das Beste aus der Situation gemacht hätte. Statt den Kindern zu zeigen, wie sie eine Wand malt, hat sie die Kinder ihre eigene Wand gestalten lassen. Nicht nur für Pau eine wertvolle Erfahrung, sondern auch für die Kinder, mit denen sie gerabeitet hat.

„Früher hätte ich auf Teufel komm raus gesagt: Ich bin jetzt da, und da muss jetzt eine Wand gemalt werden. Aber ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich sage: Die Wand ist mir ziemlich latte. Es geht nicht mehr nur um mich, sondern es geht auch darum: Was kann ich mit der Erfahrung, die ich beim Reisen mache, weitergeben.“

– Pau Quintanajornet –

Eine Kirche im Nirgendwo

Das Projekt, das mir am stärksten von Pau in Erinnerung ist, hat sie in Patagonien umgesetzt. Der Auftrag: Eine Kirche bemalen – von innen und von außen. Ein vieleckiges, weißes Gebäude mitten im Nirgendwo. Ein ziemliche ehrgeiziges Unterfangen – und ein wirklich riesiges Projekt, das insgesamt fünf Monate dauern wird.

Ziemlich viel Zeit zum Nachdenken – und irgendwann kommt zwangsläufig der Punkt, an dem sie an ihrem Projekt zweifelt: Denn um sie herum ist die Schöpfung der Natur Patagoniens von solch überwältigender Präsenz – warum dann ausgerechnet ein Haus bemalen, um die Kreation zu feiern? Zweifel, die Pau einen großen Schritt weiterbringen.

„Ich bin ja sehr verwöhnt mit erfolgreichen Geschichten und Projekten. Ich komm irgendwohin, die Leute sind total happy, ich bin total happy. Alles ist schön. Und auf einmal kommst du an einen Ort, wo Du unbedingt hin wolltest, und alles dafür gegeben hast – und keiner will das. Und keiner reagiert auf dich.“

– Pau Quintanajornet –

Denn bereits hier erlebt sie, dass es am Ende nicht einzig um die Farben und Linien geht, die sie in die Landschaft trägt. Es geht um das Miteinander, um Kontakt und Beziehungen. Denn der kleine Ort an der Durchgangsstraße Carretera Austral in Patagonien hat große Probleme. 200 Menschen leben dort. Viele von ihnen haben keine Arbeit – und kaum eine Perspektive, dass sich das ändern wird.

Pau hat vor allem Kontakt zu den Kindern dort, die sie jeden Tag besuchen, mit ihr Zeit verbringen, Tee trinken – und malen. Am Ende des Projektes hat sie vor allem das berührt, was die Kinder über ihre Zeit mit der Künstlerin in der Kirche erzählen: Dass Pau ihnen einen Platz gegeben hat zu träumen an einem Ort, der sonst nur Trostlosigkeit für sie bereit hält.

Femicidio – Frauenmorde in einer Machogesellschaft

Neben der Künstlerin Pau gibt es aber natürlich auch noch Paulina. Eine junge Frau, auf dem Weg zu sich selbst. Eine Auseinandersetzung, die durch ihre Reisen und längeren Aufenthalte in Südamerika eine neue Dringlichkeit bekommen haben. Denn dort sind Morde an Frauen an der Tagesordnung. Aus Eifersucht, aus „Liebe“, oder weil angebliche „Versprechen“ nicht eingehalten wurden. In Südamerika sind diese Morde an Frauen erschreckender und trauriger Alltag. Und für Pau ein Grund sich zu fragen: Wie werden Frauen in der Gesellschaft gesehen, wie werden sie wahrgenommen, wie sehr werden sie respektiert?

„Es kann nicht sein, dass wir in 2018 den Männern erklären müssen: Bitte tötet uns nicht. Egal was passiert, aber du hast kein Recht mich zu töten. Das sollte noch nicht mal Diskussion sein.“

– Pau Quintanajornet –

Dabei analysiert sie auch das Verhalten von Frauen untereinander. Wie gehen wir miteinander um? Wie sehen die Frauen sich und ihre Rolle in der Gesellschaft? Was heißt das überhaupt, Frau zu sein? Auch in Lateinamerika bedeutet das eine Auseinandersetzung mit Sprache, Geschlechtergerechtigkeit, sexueller Selbstbestimmung und Zielen des Feminismus. Bei Pau klingt das alles aber nicht nach Kampf, sondern nach einem Angebot, gemeinsam zu wachsen – als Menschen. Auch wenn sie sich in ihrer Heimat Chile ganz andere Sachen anhören muss. Wer sich dort für Frauenrechte und Feminismuss einsetzt, wird schnell zum Feminazi abgestempelt.

Paus Weg ist ein anderer. Ihr geht es um Empowerment – für sich selbst und andere Frauen. Um einen guten und bestärkenden Umgang miteinander. Und darum, das Gegenüber weniger zu werten. Denn wichtig ist das Wesen eines Menschen – und nicht das Geschlecht.

„Ich möchte die Frau sein wollen und dürfen, die in mir schlummert! Ob ich jetzt lange Haare hab, ob ich jetzt ne Glatze hab, ob ich jetzt sexy an der Wand stehe oder nicht, das darf nichts verändern!“

– Pau Quintanajornet –