Rebekka Endler ist freie Journalistin, Storytellerin, Mutter – und Feministin. Das aber noch gar nicht so lange. Wir sprechen über unseren Weg zum Feminismus.

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Der Artikel zum Podcast:

Ein aufgelöstes Schluchzen und die Frage: „Aber warum?“ lässt Rebekka Endler ihre Frühstücksvorbereitungen unterbrechen. Im Radio läuft gerade ein Trailer zum Deutschlandfunk Nova Podcast eine Stunde History zum Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht. Der Text: „Frauen dürfen nicht wählen. Frauen dürfen nicht studieren. Frauen dürfen nicht erben. Frauen dürfen nicht Berufe ausüben.“. Klar, das ist längst vorbei. Aber das weiß Wanda nicht. Wanda ist nämlich erst vier Jahre alt und die Tochter von Rebekka.

Die Aufgabe nun folgende Aufgabe: Mal eben zwischen Tür und Angel erklären, worum es da geht, beim Feminismus. Und warum Frauen auch heute noch kämpfen müssen. Das hat nicht so richtig gut geklappt findet Rebekka, weil sie nicht adäquat darauf eingegangen ist, sagt sie. Seitdem beschäftigt das Thema die Familie täglich. Aber wie erklärt man auch einer Vierjährigen Feminismus? Und wann haben wir eigentlich angefangen, uns mit Feminismus zu beschäftigen?

Rebekka erklärt ihrer Tochter an diesem Morgen einfach nonchalent: „Ja, das ist so Wanda. Wir Frauen, wir müssen kämpfen.“. Am Abend wird ihr dann allerdings klar: Ihre Tochter hat kämpfen sehr wörtlich verstanden.

„Für ein Kindergartenkind bedeutet kämpfen: kratzen, beißen und treten. Und sie sah dann mich großer Gefahr ausgesetzt und sich selbst in Zukunft dann auch.“

Rebekka Endler

Seitdem sucht Rebekka nach anderen Möglichkeiten, ihrer Tochter zu erklären, was gerade vor sich geht. Und welche Themen da auch im Radio mitunter besprochen werden. Und was Rebekka auch feststellt: Das ist alle eben gar nicht so leicht, wie das mitunter scheint. Denn auch, wenn sie ihre Tochter nie geschlechtsspezifisch gekleidet hat: Die Vierjährige hat sehr genaue Vorstellungen davon, was sie will. Und auch davon, was ein Mädchen macht und anzieht und was Jungs so machen und sind.

„Zack, war sie im Kindergarten, war dieses „Ich bin ein Mädchen und man soll das sehen, jeder soll das wissen und das geht nur über Kleidchen und Röcke. Das war schon sehr, sehr krass.“

Rebekka Endler

Aber das war dann nunmal so. Und im Prinzip fängt das Problem auch erst da an, wo bestimmten Eigenschaften Wertigkeiten zugeschrieben werden. Also sowas wie: „Mädchen sind zu schwach“. Solche selbstlimitierenden Aussagen erlebt Rebekka auch bei ihrer Tochter. Und das hat auch mit dem zu tun, wie Männer und Frauen in Kinderbüchern repräsentiert werden.

Rebekka mit Wanda im Museum.

Einbrecher sind zum Beispiel vor allem männlich. Klar, das belegen natürlich auch Kriminalstatistiken. Aber Rebekka ist an der Nummer etwas anderes wichtig. Ihr geht es nicht darum, dass ihre Tochter sich für die „Karriere“ als Einbrecherin entscheidet, weil es ein weibliches Vorbild in Kinderbüchern gibt. Also rein hypothetisch. Es geht eher darum zu vermitteln: Klar, Frauen können das auch machen. Aber du entscheidest dich dagegen, weil es nicht richtig oder gerecht ist – und nicht, weil es sich für eine Frau „nicht gehört“

„Sie soll das ausklammern, weil sie ein anderes Gefühl von Gerechtigkeit und von Recht hat, aber nicht weil sie ne Frau ist.“

Rebekka Endler

In Ermangelung weiblicher Einbrecher in Kinderbüchern, lesen Rebekka und Benni ihrer Tochter also „Good Night Storys for Rebell Girls“ vor, um ihr weibliche Vorbilder präsentieren zu können. Allerdings mitunter zensiert. Einfach weil die Geschichten häufig auch viel mit Kriegserfahrungen und ähnlichem zu tun haben. Und da wird dann auch mal vorgeblättert.

Später Einstieg in den Feminismus

Auf der anderen Seite: Obwohl Kindheit natürlich ein geschützter Raum ist und sein soll, gibt es da draußen eine Welt auf die wir diese Kinder vorbereiten müssen. Rebekka sagt von sich selbst, sie sei fernab davon groß geworden und habe das Thema Feminismus und strukturelle Ungerechtigkeit erst sehr spät für sich entdeckt – obwohl sie Soziologie studiert hat. So wie ich Rebekka bislang erlebt habe, hätte ich tatsächlich gedacht, sie ist schon länger im Business. Ich selber hab’s übrigens auch erst sehr spät verstanden.

Rebekka vermutet, das liegt daran, dass wir eine Sache gemeinsam haben: Nämlich dass wir uns nie als Opfer von etwas gesehen haben. Wir waren in dem Glauben, wenn wir etwas wollen und können, dann schaffen wir das auch.

„Das führt dazu, dass es auf jeden Fall in meinem Leben viele Situationen gibt, die ich humormäßig gelöst habe, wo ich drüber gelacht habe und wo ich mich über Dinge so hinweggesetzt hab, die eigentlich zutiefst verletzend oder beleidigend waren.“

Rebekka Endler

Rebekka wollte das aber einfach nie in die Schublade einordnen: Strukturelle Benachteiligung, weil weiblich. Auf der anderen Seite haben ihre Eltern ein ganz streng klassisches Rollenbild gelebt. Ihre Mutter war zu Hause für die Kindererziehung zuständig und ihr Vater ging arbeiten und brachte das Geld nach Hause. Was sie lange nicht gesehen hat: Wie sehr ihre Mutter dabei gesellschaftlich benachteiligt wird. Auch, weil sie gar nicht mehr so sehr an Gesellschaft teilhaben konnte, denn irgendwer musste ja auf die Kinder aufpassen.

Bei mir zu Hause war das tatsächlich ziemlich anders. Meine Mutter war selbständig und hat kurz nach der Geburt wieder gearbeitet. Ihre Physiotherapie-Praxis war im Haus, im Erdgeschoss – und die Kinder wurden zeitweise von einer Kinderfrau betreut. Ich kann mich da natürlich nicht selber dran erinnern, das weiß ich aus Erzählungen. Und trotzdem war meine Mutter auch für alles andere zuständig: Also einkaufen und kochen zum Beispiel, Urlaub planen, Kinder organisieren und was sonst so alles anfällt.

Die in meiner Wahrnehmung größte Angst meiner Mutter war, dass ihre Töchter Opfer von Missbrauch oder Übergriffen werden können. Und in mir ist das Gefühl entstanden, dass ich da irgendwie selbst für verantwortlich bin. Also habe ich mich lange nicht sehr weiblich gekleidet (bis auf eine sehr wilde Phase in der späten Pubertät, das hatte ich im Podcast vergessen zu erwähnen). Aber spätestens als ich in der Sportredaktion angefangen habe, wollte ich zumindest über meine Kleidung nicht als allzu weiblich wahrgenommen werden.

„Ich wollte primär verhindern, dass man mich zuerst als Frau wahrnimmt und erst dann als Mensch mit geistigen Fähigkeiten.“

Nora Hespers

Rebekka hat da ganz andere Erfahrungen mit Klamotten gemacht. Im Alltag, aber vor allem auch auf der Bühne. Denn bevor Rebekka Journalistin geworden ist, hat sie sich als Schauspielerin versucht. Da war sie Anfang 20. Und ging darum, dass sie auf der Bühne ein Negligee tragen sollte. Während Regisseur und Regieassistent versucht haben, sie zu überreden, das Negligee zu tragen, haben zwei ältere Schauspielerinnen sie darin unterstützt es nicht tragen zu müssen.

Erst jetzt wird Rebekka wirklich klar, warum sie das damals nicht wollte. Zum einen gab es keine dramaturgische Notwendigkeit – zum anderen folgte darauf eine Vergewaltigungsszene, auch ohne dramaturgische Notwendigkeit. Was Rebekka daran gestört hat, kann sie erst heute formulieren: Nämlich dass Frauen ständig als Opfer inszeniert werden.

Schwangerschaft macht feministisch

Dass Rebekka sich heute wirklich intensiv mit feministischen Themen und struktureller Ungerechtigkeit auseinandersetzt, dafür war ihre Schwangerschaft der Auslöser. Denn plötzlich ließ sich das alles nicht mehr wegdiskutieren – und auch nicht mit Humor überwinden:

„Dadurch hab ich persönlich zum ersten mal nicht über diese strukturelle Ungleichheit hinwegsehen können, weil ganz klar war, dass ich das Kind kreige und nicht mein Freund. Und dass ich in den Mutterschutz gehe und nicht mein Freund. Das war dann auf einmal SO in your face.“

Rebekka Endler

Und als dann klar war, dass es ein Mädchen wird, hat Rebekka sich bei dem Gedanken ertappt, dass sie eigentlich lieber einen Jungen gehabt hätte, weil sie dachte, um den müsse man sich nicht so viele Sorgen machen. Und das war dann der Punkt, an dem sie diese Ungerechtigkeiten so richtig ätzend fand.

Und auch bei mir hat das vor allem mit den Schwangerschaften meiner Freundinnen und auch meiner Schwester zu tun, dass ich in Sachen Feminismus aufgedreht habe. Denn da haben plötzlich Menschen, die mir sehr am Herzen lagen und die ich auch fachlich sehr schätze, plötzlich keine Jobs mehr bekommen. Oder mussten sich Gedanken darüber machen, wann sie von ihrer Schwangerschaft erzählen, weil das definitiv Nachteile für sie bedeuten würde. Oder gar, dass sie komplett ohne Job dastehen.

Mir erscheint es absurd, einer Frau keinen Job zu geben, weil sie schwanger ist. Wer bitte soll denn das Kind dann ernähren? Der Mann? Oder wenn der nicht greifbar ist, der Staat? Das ist in beiden Fällen absurd, weil es entweder den Mann komplett in die finanzielle Verantwortung nimmt – oder die Frau vom Staat abhängig macht. Und zwar so lange, bis jemand bereit ist, sie einzustellen und ordentlich zu bezahlen. Mit Kind ist das erfahrungsgemäß aber kein allzu leichtes Unterfangen einen gut bezahlten Job zu bekommen.

Entscheidender Punkt ist dabei, dass Frauen mit Kindern als unzuverlässig wahrgenommen werden. Und an der Stelle nimmt Rebekka die Männer in die Verantwortung. Denn daran können nur Männer etwas ändern:

„Das muss von Männern geändert werden, die, wenn das Kind krank ist, zu Hause bleiben. Und zwar völlig selbstverständlich. Und Elternzeit zu nehmen und zwar die volle Zeit.“

Rebekka Endler

Was Rebekka dabei aber auch betont: Elternzeit kann sich nicht jede Familie finanziell erlauben. Das ist ein Luxus, wenn man sich das leisten kann.

„Für jeden Mann, der zu Hause bleibt, weil das Kind krank ist, ist da eine Frau, die weniger unzuverlässig beim Arbeitgeber erscheint. Das ist eine Kleinigkeit eigentlich.“

Rebekka Endler

Dazu gehören natürlich auch Arbeitgeber:innen, die sich entsprechend flexibel zeigen. Und an dieser Stelle ein ganz großes Lob an unsere Online-Chefin bei Deutschlandfunk Nova, die es auch mir als Tante ermöglicht, einzuspringen und für meine Familie da zu sein. Das ist – leider – überhaupt nicht selbstverständlich. Und das ist uns sehr bewusst. Denn die meisten Führungspositionen sind immer noch von Männern besetzt.

Die Frage ist: Wie kommen die dahin? Eine mögliche Antwort: Sie bedienen das System, das Ellenbogenmentalität und Karrieregeilheit belohnt. An der Stelle grätscht mir Rebekka aber kurz dazwischen, weil sie das nicht als männliche oder weibliche Eigenschaften verstanden haben will. Und damit hat sie recht. Aber klar ist auch: Frauen, die in diesem System nach oben wollen, kommen auch weiter, indem sie das bedienen, was in dem System funktioniert. Oder aber, sie machen jenseits des Systems mit anderen Modellen Karriere. Das gibt es natürlich auch – und auch immer mehr.

„Ich wollte nie als unfair behandelt gelten“

Rebekka Endler

Aber das verhindert mitunter, zu erkennen, dass diesen System eben strukturelle Ungerechtigkeit fördert. Weil man sich darin eben irgendwie eingerichtet hat. Erst, wenn man aus dem System rausrutscht, zum Beispiel durch eine Schwangerschaft, und dann eben diese Spielregeln nicht mehr voll erfüllen kann, wird klar: Ey, das ist unfair!

Vielleicht sorgt auch das dafür, dass viele Frauen erst später anfangen, die Mechanismen zu hinterfragen. So wie Rebekka eben. Oder ich selbst.

Und dass ich, anders als Rebekka immer angenommen hat, nicht die selbstbewusste Wonderwoman bin, für die sich mich hält – das könnt ihr dann selbst im Podcast nachhören. Aber das Beste kommt eh zum Schluss: Wandas Hymne zum Weltfrauentag! Euphorisch Frau sein!