Kann man mit zwei Comediennes ernsthaft über Comedy und Kabarett reden? Herzlich willkommen zu diesem Selbstversuch und ein Spoiler gleich vorneweg: Ja, das geht. Denn auch in der Welt von Comedy und Kabarett gibt es durchaus ernste Themen. Wie zum Beispiel das Thema Frauen in der Comedy. Das ist auf der Bühne sehr witzig – hinter der Bühne aber eben nicht immer. Trotzdem wird das hier keine Trauerveranstaltung, denn schließlich sind Ariane Müller und Julia Gámez Martín von „Suchtpotenzial“ zu Gast.

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Anfang November findet in Köln alljährlich das „Köln Comedy Festival“ statt. Dieses Jahr (2019) zum 29. Mal. Zum allerersten Mal gab es dazu den Kölner Komik Kongress, ausgerichtet vom Institut für Komik in Köln. Es war ein kleiner Start mit drei Sessions bestehend aus einem Vortrag der Wissenschaftlerin Halyna Leontiy, die sich mit migrantischer Comedy und dem kulturellen Humorverständnis beschäftigt hat, einem anschließenden Gespräch dazu mit Halyna Leontiy und Knacki Deuser, den viele vielleicht von Night Wash kennen. Und zum Abschluss gab’s noch eine Podiumsdiskussion mit dem Comedian Markus Barth, der Moderatorin, Aktivistin und Podcasterin Charlotte Roche, dem Comiczeichner Ralf König und der Unterhaltungs-Redakteurin Daniela Mayer, die ihr auch schon hier im Podcast hören konntet.

In der abschließenden Diskussion ging es um die Grenzen des Sagbaren und dem, was Comedy eigentlich darf. Und da sind wir im Prinzip direkt mitten im Thema. Denn in einem Programm, dass „Sexuelle Belustigung“ heißt, geht es natürlich auch – nicht nur – um Schlüpfrigkeiten. Und es ist gar nicht so leicht, da eine Grenze zu definieren, sagt Julia.

„Da wo wir für den einen eine Linie überschreiten, gings für den anderen noch gar nicht los.“

Julia Gámez Martín

Was die beiden auf der Bühne machen: Sie spielen mit Rollenklischees und brechen damit. In ihrem Song „Genauso scheiße“, gibt es zum Beispiel eine ganz klare Forderung: Frauen sollten genau so viel verdienen wie Männer, eben weil sie auch keinen Deut besser sind. Sie saufen, sie rauchen, sie pöbeln, sie kotzen, sie gehen fremd – es gibt also eigentlich keinen Grund, weshalb sie dann nicht auch genauso viel verdienen sollten bei gleich schlechtem Benehmen. Das ist natürlich grundsätzlich absurd, weil wir alle wissen, dass Frauen eben nicht die Modepüppchen aus der Werbung sind. In der Überspitzung ist es aber einfach auch ziemlich witzig. Vor allem, wenn dann das Publikum mitsingen darf. Und das tut es aus vollem Herzen – Frauen wie Männer.

Was das Programm von Julia und Ariane wirklich speziell macht: Es ist trotz aller Schlüpfrigkeit unglaublich kluger Humor, der da auf der Bühne zelebriert wird. Denn die beiden spielen nicht nur mit Klischees, sondern auch mit den Privilegien. Was sie auf der Bühne sagen, dürfte kein Mann so sagen. Also dürfte er natürlich schon. Aber das wäre sofort sexistisch und eben für viele Menschen nicht lustig. Wenn die beiden Frauen das untereinander durchspielen, wird es vor allem dadurch lustig, weil dann klar wird, wie absurd das eigentlich ist.

Julia: „Unser Programmtitel ‚Sexuelle Belustigung‘ – kein Mann im Comedybereich hätte diesen Programmtitel überhaupt nehmen dürfen.“
Ariane: „Als Randgruppe kannste dir sowas erlauben.“

Julia und Ariane von Suchtpotenzial

Und – zack – schickt Ariane Müller die nächste Absurdität ins Rennen. Denn natürlich sind Frauen keine Randgruppe, in der Comedy aber trotzdem komplett unterrepräsentiert. Das liegt auch daran, dass es bislang so wenig Vorbilder gab, sagt Julia Gámez Martín. Vielen Frauen ist einfach nicht klar, dass Comedy ein Beruf ist, von dem man auch leben kann.

Wobei Ariane Müller diesen Beruf gar nicht so richtig bewusst ergriffen hat, sagt sie. Denn eigentlich hat sie einen Magister in Sozialwissenschaften. Was die Bühne angeht, ist sie Autodidaktin. Julia Gámez Martín hat Musical studiert. Mit Comedy hat beides erstmal nichts zu tun. Im Musical-Studium war stattdessen erst mal ganz viel Pathos gefragt – und ganz viel tanzen natürlich. Erst gegen Ende ihres Studium merkt Julia Gámez Martín: Hey, mit Humor geht das also auch. Da hat sie nämlich beim Bundeswettbewerb Gesang einen Song von Trude Herr performt: „Fever“ auf kölsch.

Das war allerdings nicht ihr erster humoristischer Auftritt. Bereits im zarten Alter von acht Jahren hat Julia Gamez Martin den Faschingspokal an ihrer Schule gewonnen, in Berlin wohlgemerkt, mit einer Performance von Anke Engelke als Ricky von Rickys Popsofa. Und irgendwie war das auch schon damals ein ziemlicher Erfolg. Denn mit dem Faschingspokal wird aus der kleinen Julia, die vorher eher Außenseiterin war, plötzlich – wie Ariane sagt – „Die Coole von der Schule“.

Ariane Müller selber kommt eher aus der zweiten Reihe. Sagt sie. In ihrer kleinen Theatergruppe im Theater in der Bastion in Ulm hat sie vor allem Regie geführt und witzige Szenen geschrieben. Performt haben aber andere. Obwohl sie als Schauspielerin da angefangen hat. Aber sie hat schnell gemerkt, dass sie besser Songs schreiben und Regie führen kann als selbst zu schauspielern. Später arbeitet sie im Stadttheater in Ulm als musikalische Leiterin und Regisseurin und ist selber kaum noch auf der Bühne. Erst als sie mit Bands tourt steht sie wieder selber auf der Bühne – und übernimmt dann auch die Zwischenmoderationen. Irgendwer muss es ja machen …

Die Rollenverteilung auf der Bühne zwischen ihr und Julia ist klar: Ariane spielt Klavier und Gitarre und Julia singt und tanzt. Aber zwischen den Liedern, wenn die beiden ins Gespräch gehen, begegnen sie sich auf Augenhöhe im Schlagabtausch.

„Ich fühl mich so nackt auf der Bühne, wenn ich kein Instrument hab, es macht mich nervös“

Ariane Müller

Kennengelernt haben sich Ariane Müller und Julia Gámez Martín in Ulm – wo ich die beiden übrigens auch zum ersten Mal treffen durfte: Beim Live-Podcasten für den „Müller & Matzko“-Podcast. Da scheint also was zu gehen in dieser kleinen Stadt im Süden Deutschlands. Ariane Müller und Julia Gámez Martín haben dort gemeinsam für eine Produktion der „Rocky Horror Picture Show“ gearbeitet. Ariane in der Band, Julia auf der Bühne.

„Krankenschwester in Lack mit Strapsen. So hab ich sie kennengelernt. Heute machen wir feministisches Kabarett.“

Ariane erzählt, wie sie Julia kennengelernt hat

An dieser Stelle wird die Diskussion im Podcast übrigens richtig spannend. Eben weil es ganz explizit um die Rollenbilder geht, die „Suchtpotenzial“ in ihrem Bühnenprogramm brechen. Das fängt an mit einem Verhalten, das bei Frauen häufig nicht allzuviel gesellschaftliche Wertschätzung erfährt. Und geht weiter zu Wörtern, die ein gut erzogenes Mädchen oder eine wohl erzogene Frau von Welt eben einfach nicht sagt. Und das sorgt mitunter beim Publikum für Verstörung. Da sitzen dann 60-jährige Frauen, die den Refrain von „Ficken für den Frieden“ gerne mitsingen würden, das Wort „Ficken“ aber einfach nicht aussprechen können.

Eitle Menschen wirken unsympathisch

Ein Gefühl, das Ariane Müller durchaus kennt. Denn in dem Akademiker:innen-Haushalt, in dem sie aufgewachsen ist, gehörte das jetzt auch nicht zur Standardwortwahl. Aber – und das sagt Julia Martinez Gomez ziemlich klar: Auf der Bühne darfst du nicht eitel sein. Und deshalb macht sich die studierte Musical-Darstellerin liebend gerne für ihr Publikum zum Horst – oder zur Hertha. Oder auch zur Heike. Denn, sagt sie, es ist ihr Job, dass die Menschen im Publikum einen guten Abend haben. Dabei spielen weder Julia noch Ariane eine Rolle. Sondern sie stehen da als sie selbst. Wer sich in dem Moment, wo es um die eigene Performance geht, von außen betrachtet und überlegt, wie das wirkt, ist nicht authentisch.

„Wenn du Entertainer bist oder Comedian, Sänger, Musicaldarsteller: Du darfst nicht eitel sein! Leute sind sympathischer, wenn sie nicht eitel sind.“

Julia Gámez Martín

Und trotzdem: Viele Frauen in der Comedy sehen ganz grundsätzlich gut aus – und machen sich für ihre Rollen hässlich, wirft Ariane ein. Martina Hill oder Carolin Kebekus zum Beispiel. Die Messlatte liegt da schon ziemlich hoch. Viele männliche Comedians, die total durchschnittlich aussehen, haben trotzdem Erfolg. Die Comedy-Szene in den USA ist da schon weiter. Aber auch dort gibt es regelmäßig Empörungswellen, wenn sich Comedienne Amy Schumer mit einem kleinen Bauch zeigt – oder ungeschminkt mit Pickeln.
Feminismus, über den man lachen kann

Das spannende am Programm von Suchtpotenzial ist: Viele sind angestrengt vom Feminismus. Frauen genauso wie Männer. Und bisweilen bleibt der Humor da auf der Strecke. Mit Ariane und Julia kann man aber trotzdem drüber lachen. Und die Message kommt trotzdem rüber. Zum Beispiel, wenn es darum geht, was überhaupt noch thematisiert werden kann, ohne dass es zu Zerwürfnissen zwischen Menschen kommt. Und da haben die beiden eine großartige Idee – die ich aber an dieser Stelle nicht spoilern möchte. Aber das hält auch unserer Streitkultur gerade so dermaßen den Spiegel vor, dass es eigentlich peinlich ist, wenn man nicht so unfassbar herzlich darüber lachen müsste. Und das, obwohl der Einstieg in das Thema mit #metoo wirklich alles andere als witzig ist. Aber die beiden reißen das Ruder halt rum. Und das tut einfach auch mal gut. Weil es einen aus dem Alltag raus holt. Weil es einen vergessen lässt, wie ernst man das Thema sonst so nimmt.

Marktlücke musikalisches Frauen-Kabarett-Duo

Seit sechs Jahren stehen Ariane Müller und Julia Gamez Martin jetzt gemeinsam als „Suchtpotenzial“ auf der Bühne. Und auch, wenn es sich langsam entwickelt hat: Die beiden haben von Beginn an gut zusammen auf der Bühne funktioniert. Und sie sind in eine Lücke gestoßen. Aktuell gibt es in Deutschland kein anderes musikalisches Frauen-Comedy-Duo. Bereits im ersten Jahr ihrer gemeinsamen Arbeit können die beiden von ihren Auftritten leben.

„Wir sind tatsächlich in eine Lücke gekommen und es gibt immer noch außer uns kein anderes Frauen-Musik-Duo in dem Bereich mit eigenen Liedern.“

Ariane Müller

Dabei haben die beiden ein festes Programm, das sie entwickeln und dann auch einige Zeit spielen. Natürlich kann es auch sein, dass sie spontan eine Idee haben und die dann einfach mal vor Publikum ausprobieren. Aber grundsätzlich ist das eher ungewöhnlich. Denn im Prinzip müssen die beiden Songs für das nächste Programm sammeln – und dann auch ein bisschen zurück halten. Obwohl das mitunter extrem schwierig ist.

„Wenn man gute Songs hat, dann will man die eigentlich auch direkt raushauen.“

Julia Gámez Martín

Aber das Gesetz der Kleinkunst lautet: Alle zwei bis drei Jahre ein neues Programm. Und bis dahin müssen neue Sachen zurück gehalten werden. Wobei es auch Menschen gibt, die sich daran genau nicht halten, wie zum Beispiel Hagen Räther, der unter dem Programmtitel „Liebe“ im Prinzip seit 15 Jahren das macht, worauf er Bock hat und das eben aktualisiert, sagt Ariane Müller. Ein Ziel, das auch die beiden Humorarbeiterinnen haben: Einfach als „Suchtpotenzial“ auf die Bühne gehen und dann machen, was halt grade so in die Zeit passt. Ein bisschen fehlt dazu noch der Fame – aber wer weiß. Kann ja schon bald soweit sein. Und dann können die Menschen, die „Suchtpotenzial“ noch gar nicht so schrecklich lange kennen, auch die Songs aus dem alten Programm mal hören.

Übrigens: Nicht bei allen kommen die Songs von Suchtpotenzial gut an. Denn Suchtpotenzial sind natürlich auch politisch unterwegs. Und unter ihren Youtube-Videos gibt es Kommentare, die man ohne große Probleme als Hatespeech deklarieren kann. Ariane Müller und Julia Martinez Gomez gehen da noch relativ entspannt mit um. Sie nehmen die Hater erst gar nicht ernst. Auch wenn sowas natürlich trotzdem nicht ganz spurlos an ihnen vorbei geht. Denn klar nehmen sie das wahr.

Die Empfehlung der beiden: Einfach mal das Internet zwischendurch ausmachen, sich mit Freunden treffen – und in der Kneipe diskutieren. So richtig schön abledern. Belästigt maximal die paar Menschen im näheren Umfeld, der Frust entlädt sich trotzdem, aber niemand hat am Ende ernsthaft Schaden genommen. Also wenn’s gut läuft.