„Man muss sich auch mal überraschen lassen“

Dunya Elemenler ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet seit 2012 als Referentin für eine muslimische Organisation. Zu ihren Aufgaben gehört die Organisation von Veranstaltungen zum interreligiösem Dialog. Ihre Freizeit nutzt Dunya Elemenler vor allem für Sport. Sie trainiert Kickboxen und läuft leidenschaftlich gerne. Zuletzt 2017 den Köln-Marathon, aktuell auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. So ganz nebenbei promoviert sie an der Uni Marburg.

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Dunya Elemenler macht ihre Promotion in Teilzeit, das heißt, sie wechselt zwischen ihren Aufgaben als Referentin und ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Das ist manchmal gar nicht so leicht, vor allem, wenn Veranstaltungen anstehen und der Job sie fordert. Dann, sagt sie, fällt es manchmal schwer abzuschalten und sich auf die Dissertation zu konzentrieren. Auf der anderen Seite gefällt ihr der Wechsel zwischen Theorie und Praxis aber gut.

„Die Dissertation, das ist schon sehr theoretisch. Du sitzt die meiste Zeit, liest und hast wenig Kontakt mit realen Menschen.“

Dunya Elemenler

Gerade der Kontakt zu anderen Menschen ist Dunya Elemenler wichtig. Und deshalb mag sie ihre Arbeit als Referentin im interreligiösen Dialog. Denn dabei geht es vornehmlich darum, Menschen in Kontakt zu bringen. Und, so hofft sie, damit am Ende auch etwas bewirken zu können in der Gesellschaft.

Auch wenn der Begriff interreligiöser Dialog ein wenig sperrig klingt, dahinter steckt für Dunya Elemenler ein erfüllende Aufgabe. Denn sie bringt Menschen zusammen, die das gemeinschaftliche Leben in einer Gesellschaft gestalten wollen.

„Es ist kein Dialog, wenn der eine nur vorgibt und bestimmt und der andere einfach nur hinterher läuft.“

Dunya Elemenler

Was ich persönlich mich ja frage ist: Warum ist es überhaupt notwendig, Dialog herzustellen? Warum können Menschen nicht per se schon den Wunsch haben, miteinander zu sprechen und sich auszutauschen. Und das ist natürlich eine sehr idealistische Vorstellung getragen vom Wunsch, zuerst auf die Gemeinsamkeiten zu schauen und dann auf das, was anders ist bei dem oder der anderen.

In vielen Orten, sagt Dunya Elemenler, gibt es dafür bereits Begegnungsräume, zum Beispiel in Form von Bürgerdialogen. Die sollen auch dafür sorgen, dass Menschen in großen Städten nicht so schnell vereinsamen. Von solchen Angeboten muss man allerdings wissen, um sie nutzen zu können. Interreligiöser Dialog ist ein besonderer Teil davon. Damit der gelingen kann, muss es Interesse geben am Anderen und an der anderen Religion.

„Man erkennt sehr schnell, dass es da gar nicht so viele Unterschiede gibt. Am Ende ist man dann tatsächlich Mensch.“

Dunya Elemenler

Bei Veranstaltungen zum interreligiösen Dialog hat Dunya Elemenler die Erfahrung gemacht, dass sie zwar die muslimische Vertreterin ist, aber sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Und deshalb unterscheidet sie sich zwar in der Ausübung ihrer Religion zu den katholischen oder christlichen Vertreter:innen, aber kulturell nicht. Unterschiede stellt sie eher auf kultureller Ebene fest mit muslimischen Vertreter:innen, die aus anderen Kulturkreisen stammen. So wie es im Prinzip jedem Menschen geht, der auf eine andere Kultur trifft, völlig unabhängig davon, woran er oder sie glaubt. Dunya Elemenler ist allerdings wichtig, genau das erstmal nur als anders wahrzunehmen und nicht sofort zu werten.

Im Prinzip eine Erfahrung, die wir aus allen Religionen kennen. Je nach dem, in welchem Kulturkreis eine Religion ausgeübt wird unterscheiden sich die Rituale deutlich. Auch in der christlichen Religion. Wir müssen nur an die Philippinen denken, wo es ein Ritual gibt, bei dem sich Menschen selber geißeln, bis ihr Rücken blutet und sich wie Jesus ans Kreuz nageln lassen. Ich für meinen Teil bin da durchaus befremdet. Aber ein Urteil darüber erlauben kann ich mir nicht solange ich die Hintergründe nicht besser kenne.

„Wobei ich da auch immer sehr vorsichtig bin, das ist für uns immer sehr krass und abstrus, aber ich werte da jetzt erstmal nicht drüber.“

Dunya Elemenler

Und an der Stelle ist es wichtig, dass es eben auch Möglichkeiten gibt sich zu begegnen, ohne, dass Label eine Bedeutung haben. Wie zum Beispiel im Sport. Wo man als Mensch zusammenkommt und wo es einfach erstmal wichtig ist, mitzumachen.

„Im Sport zählt erstmal die Leistung oder, dass du dabei bleibst und der Gruppeneffekt. Und es ist vollkommen egal, was du anhast und wie du aussiehst.“

Dunya Elemenler

Mit einem kleinen Einschub: Muslimische Frauen haben auch im Sport immer noch mit Zugangshürden zu kämpfen. Nicht, weil sie nicht Sport machen wollen würden oder Sportvereine sich quer stellen. Sondern einfach, weil Sportbekleidung für Muslima zumindest in Deutschland immer noch nicht überall leicht verfügbar ist. Oder es Wettkampfregeln gibt, die das Tragen eines Sporthijab verbieten.

Es gibt inzwischen einige Vorreiterinnen, wie die Berliner Boxerin Zeina Nasser, die erstritten hat mit Hijab und langer Kleidung unter ihren Box-Shorts kämpfen zu dürfen. Und die dank einer Regeländerung zu ihren Gunsten an den Olympischen Spielen in Tokio teilnehmen könnte, wenn sie sich qualifiziert. Ansonsten sind muslimische Sportlerinnen in Deutschland eigentlich kaum wahrnehmbar. Zumindest, was die gängigen Medien angeht.

In sozialen Netzwerken sieht das anders aus. Auf instagram macht auch Dunya Elemenler hin und wieder Selfies vom Lauftraining – weltweit sind es inzwischen immer mehr Muslima, die sich als Spitzensportlerinnen präsentieren – in langer Kleidung und mit Hijab. Völlig selbstverständlich. Nur in Deutschland ist das – bislang – immer noch eher die Ausnahme.

„Es sind so viele, die das machen und in Deutschland entdeckt man das quasi erst noch.“

Dunya Elemenler

Sprachfähig werden

Für Dunya Elemenler ist der interreligiöse Dialog auch dafür da, Menschen sprachfähig zu machen. Denn nur, wer Worte für das hat, was er oder sie erlebt, kann auch in Kontakt mit einem Gegenüber treten und sich austauschen. Dabei geht es nicht nur darum, sich selbst zu erklären, sondern auch darum, etwas über sich selber zu erzählen. Ein Lernprozess. Für beiden Seiten. Denn wenn die eine Seite etwas erzählt, muss die andere Seite natürlich auch zuhören wollen. Und zum Beispiel lernen, das Gehörte nicht als Angriff zu verstehen.

„Wenn ich zum Beispiel verstehe, warum der Frau mit dem Sporthijab das so wichtig ist, dann lass ich sie vielleicht einfach auch da stehen und setze das dann nicht gleich mit Zuständen im Iran, wo das den Frauen aufgezwungen wird.“

Dunya Elemenler

Zwang, da sind wir uns einig, möchte niemand. Weder, wenn es darum geht, etwas anzuziehen noch etwas auszuziehen. Zwang ist nie gut. Damit Zwang aber sichtbar wird, müssen wir darüber sprechen und sagen, wenn es uns verletzt.

Genau das möchte Dunya Elemenler mit ihrer Arbeit möglich machen. Dafür setzt sie sich ein. Dass Menschen verschiedener Religionen miteinander in Kontakt kommen und sich eben austauschen.

Für diese Formen des Dialogs setzt sie sich nicht nur auf lokaler oder kommunaler Ebene ein, sondern vor allem auf Bundesebene. Damit die Verantwortlichen der jeweiligen Religionsgemeinschaften als positive Vorbilder vor ihren Gemeinden voran gehen. Außerdem organisiert sie Workshops bei denen Multiplikator:innen ausgebildet werden. Dort treffen dann zum Beispiel muslimische und katholische Frauen zusammen und diskutieren über Rituale und organisatorische Strukturen ihrer Religionsgemeinschaften. Sie besuchen gegenseitig die jeweiligen Gottesdienste oder Gotteshäuser und sprechen über ihre Erlebnisse. Miteinander.

Meistens werden dabei nicht nur schnell Unterschiede festgestellt, sondern auch Gemeinsamkeiten. In Workshops wie diesen lernen die Menschen sich verstehen, sagt Dunya Elemenler. Dabei ist der Lernprozess zentral. Weil es eben ein Prozess ist. Über eines dieser besonderen Erlebnisse in diesen Workshops spricht Dunya Elemenler auch in der Podcast-Episode. Die Stelle im Podcast müsst ihr euch aber bitte anhören, denn runtergetippt kann ich sie nicht halb so schön wiedergeben, wie Dunya das getan hat. Ihr findet sie bei etwa 23 Minuten. Ich bin euch aber auch nicht böse, wenn ihr den ganzen Podcast anhört.

Was ich mich – und dann Dunya Elemenler – ja frage: wie bekommt man Menschen in diesen Dialog, die selber keiner Religion angehören. Atheisten zum Beispiel. Die sind, weil sie eben nicht organisiert sind, nicht so leicht zu fassen. Oder eben Menschen, deren Religion nur auf dem Papier existiert und die damit nicht aktiv am Leben in einer Gemeinde teilnehmen. Auch da gibt es Ansätze, die an den Alltag andocken. Zum Beispiel, dass Menschen muslimischen Glaubens zum Iftar im Ramadan, also dem Fastenbrechen, ihre Nachbarn einladen zum gemeinsamen Essen.

Auch hier sind Dinge im Wandel. Zum Beispiel durch Postings via Social Media von Medien wie der Tagesschau, die zum Ende des Ramadan ein „Eid Mubarak“ wünscht, werden auch muslimische Feste und hohe Feiertage in der Gesellschaft sichtbarer. Via instagram oder Twitter geben auch immer häufiger junge Muslima und Muslime Einblicke in ihr religiöses Leben. Dadurch gibt es mehr Möglichkeiten mitzubekommen, wie muslimischer Glauben im Alltag gelebt wird.

Übrigens laden auch Moscheen regelmäßig zum gemeinsamen Iftar ein über alle Religionen hinweg. Oder zum Tag der offenen Moschee, der in ganz Deutschland am 3. Oktober 2019 ist. Denn am Tag der deutschen Einheit haben viele Menschen frei. Tage wie diese sind eine gute Chance, die anderen und das Andere kennenzulernen. Es gibt eigentlich nur eine Sache, die jede:r dafür tun muss: Den Hintern hochbekommen und hingehen. Das heißt nicht, dass dann alle alles gut finden. Aber es hilft, sich auf Augenhöhe mit den Kritikpunkten auseinanderzusetzen und das Gegenüber als Menschen wahrzunehmen und nicht als potentielle Gefahr. Und das gilt für alle, die an einem solchen Dialog teilnehmen.

Denn die Angst davor, die eigene Religion und die eigene Identität zu verlieren, ist keine exklusive Angst der Christen. In der Türkei, erzählt Dunya Elemenler, ist es genau umgekehrt. Dort gibt es ein Prozent Christen – und trotzdem existiert dort die Angst vor einer Christianisierung. Wenn aber alle Angst davor haben, die eigene Identität zu verlieren, gibt es nur einen logischen Schluss: Die größtmögliche Freiheit für alle zu erhalten, um jedem Menschen die Wahl zu lassen, für welche Art zu leben sie oder er sich entscheidet. Und das geht nur in einem demokratischen System auf Grundlage der Menschenrechte, die jedem Menschen eben genau diese Freiheiten zugestehen.

Und selbst, wer da Berührungsängste hat: Es gibt so viele Menschen, die ihr Leben in den sozialen Netzwerken teilen und uns einladen, sich mal eine andere Seite von Leben anzuschauen. Wir können Muslima folgen, Feministinnen, BIPOCs (black, indigenous, people of color), Christ:innen, Atheist:innen, Transpersonen, Umweltaktivist:innen, Menschen mit Behinderung, aber genauso Politiker:innen der unterschiedlichsten Parteien, die uns Einblicke in ihre Arbeit gewähren (unter diesem Artikel gibt’s dazu eine Linkliste). Wir können uns all das anschauen, ohne in Interaktion zu treten. Es lässt uns sehr persönlich erleben, wie vielfältig das Leben ist. Und welchen Herausforderungen andere Menschen in diesem Leben gegenüber stehen. Mich persönlich macht das demütig. Ich kenne bislang eine Welt. Meine. Die einer gesunden, weißen Frau, die alle Bildungsmöglichkeiten hatte und selbständig durchs Leben geht. Aber das bewusste hinzufügen von Menschen mit anderen Perspektiven in meinen Medienkonsum hat mir den Einblick in viele andere Welten eröffnet. Und ich schätze das sehr.

„Viele denken schon, so viel zu wissen über den anderen, ohne ihn überhaupt mal zu Wort kommen zu lassen.“

Dunya Elemenler

Das Interessante am Internet ist ja auch: Wir hätten die Möglichkeit, extrem viel zu wissen und extrem differenzierte Einblicke zu erhalten. Aber am Ende bleiben Stereotype hängen. Wir lesen etwas über Kriminalität in Zusammenhang mit bestimmten Bevölkerungsgruppen – und schon überträgt sich dieses Bild auf Menschen, die eben diese Merkmale teilen. Wir glauben zu wissen, wie „die“ sind. Und dann suchen wir erst gar nicht das Gespräch.

Dabei besteht gerade dort die Chance zu zeigen, dass wir Offenheit nicht nur von anderen fordern, sondern selbst auch bereit sind, Offenheit zu leben. Wer an die Chance des Dialogs nicht glaubt, für den sei hier noch schnell ein weiterer Podcast empfohlen: In „180 Grad“ werden Geschichten erzählt von Menschen, die ihre Vorurteile überwunden haben – weil sie letztendlich genau mit den Menschen in Kontakt getreten sind, die sie eigentlich abgelehnt haben.

„Da muss man halt viel mehr auf die Leute zugehen und das Gespräch dann auch suchen und sich auch mal überraschen lassen.“

Dunya Elemenler

Nur so können Vorurteile abgebaut werden. Dunya Elemenler plädiert dabei nicht für eine Kuschelgesellschaft. Sie sagt, man muss nicht mögen, was die andere Person sagt oder glaubt. Aber miteinander sprechen, sich einander zuhören und einfach auch mal akzeptieren, dass die andere Person eine eigene Meinung hat, wäre ein Schritt. Vor allem ein Schritt weg von Hass und Aggression.

Und bei aller Kritik an Religion und religiösen Gemeinschaften und den institutionellen Strukturen von Religionsgemeinschaften, was mich am Ende doch immer wieder beeindruckt ist, dass sie so viele verschiedene Menschen an einen Ort bringen. Und Gemeinschaft stiften. Dass religiöse Praxis, Rituale vielen Menschen Halt im Leben geben. Egal ob katholisch, evangelisch, muslimisch, jüdisch, buddhistisch … die meisten Religionen sollen ein friedliches Zusammenleben regeln. Egal wo auf der Welt ich bin, wenn ich ein Gotteshaus suche, werde ich dort erst einmal willkommen geheißen. Das zumindest ist die Idee dahinter. Und die finde ich grundsätzlich gut. Dass es Orte des Willkommens gibt, die ich aufsuchen kann, wenn ich mich verloren fühle. Wo ich eine Gemeinschaft finde, deren Regeln mir grundsätzlich erstmal nicht komplett fremd sind.

Eine Staatsbürgerschaft ist keine Religion

Ganz versehentlich streifen wir in diesem Podcast-Gespräch übrigens noch ein anderes Thema: Denn ich komme in die Verlegenheit erklären zu müssen, was ich mit „die Deutschen“ meine. Was eigentlich ein Unding ist. Also nicht, dass ich das erklären muss, das mach ich natürlich gerne. Sondern dass der Begriff eben nicht für alle Menschen steht, die in Deutschland leben und arbeiten und noch nicht mal mehr für alle, die einen deutschen Pass haben. Das kann man sich anders wünschen. Aber durch all die Debatten der vergangenen Zeit ist die Definition längst nicht mehr eindeutig. Wenn ich sage, am 3. Oktober haben alle Deutschen frei, meine ich tatsächlich alle Menschen, die hier leben und arbeiten und damit an diesem Tag frei haben, weil das für all diese Menschen ein Feiertag ist. Außer sie arbeiten in Berufen, die unsere tägliche Grundversorgung garantieren. Aber es ist ähnlich, wie mit dem Sonntag: Es ist gesetzlich geregelt, dass dann die allermeisten Geschäfte in Deutschland geschlossen sind. Das gilt für alle, die hier leben und arbeiten. Egal, welcher Religion sie angehören.

„Da muss man auch mal aufpassen, dass wir nicht an den Punkt kommen, dass man zwischen deutsch und muslimisch unterscheidet. Es gibt keinen Unterschied zwischen einer Staatsbürgerschaft und einer Religion. Das sind einfach unterschiedliche Punkte.“

Dunya Elemenler

Die Diskussion darüber, wer oder was zu Deutschland gehört und wer oder was nicht, hat dazu geführt, dass viele Menschen sich ausgeschlossen fühlen von der Gesellschaft. Und zwar vom Jugendlichen hin bis zum Erwachsenen im hohen Alter, sagt Dunya Elemenler. Die Diskriminierung, die viele Menschen dadurch in ihrem Alltag erleben, ist nicht nur traurig, sondern auch sehr verletzend, sagt die Politikwissenschaftlerin. Ein Punkt, bei dem wir auf jeden Fall gegensteuern müssen. Und auch da hilft Dialog. Denn es ist wichtig, sichtbar zu machen, wie verletzend es ist, in der Art diskriminiert zu werden. Und das hat nichts damit zu tun, sich in eine Opferrolle zu begeben:

„Ich bin kein Opfer. Ich bin immer noch handelndes Wesen. Und kann selbst entscheiden und bestimmen, was meine Identität ist.“

Dunya Elemenler

Wenn wir Menschen aber diese Selbständigkeit absprechen, indem wir sie zum Beispiel auf Grund von Religion und Hautfarbe diskriminieren als zum Beispiel nicht einer bestimmten Nationalität zugehörig, dann werden sich diese Menschen irgendwann tatsächlich dieser Nationalität nicht mehr zugehörig fühlen. Dabei passiert genau an der Stelle ein entscheidender Fehler: Nationalität und Religion haben nichts miteinander zu tun. Über die Nationalität bestimmt in Deutschland der Pass, in Religionsgemeinschaften werden wir überall auf der Welt in der Regel hinein geboren, wenn wir sie uns nicht selbst aussuchen. Die Nationalität sagt nichts darüber aus, ob und welcher Religion jemand angehört. Die Religion sagt nichts darüber aus, welcher Nationalität wir angehören. Wer an der Stelle anfängt, Menschen zu unterscheiden und beides in einen Topf zu werfen, hat das Recht auf Religionsfreiheit nicht verstanden – und erst recht nicht den Sinn und die Historie dazu.

„Wir haben auch Fortbildungen für Moscheegemeinden gemacht, wo dann auch Jugendliche, die vor Ort angefangen haben, Dialog zu führen gesagt haben: Wir haben so positives Feedback bekommen, das hat mir nochmal gezeigt, dass das hier meine Heimat ist.“

Dunya Elemenler

Dieses Engagement, Menschen in Dialog miteinander zu bringen, empfindet Dunya Elemenler als extrem motivierend. Aber natürlich gibt es auch frustrierende Erlebnisse. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wer auf einer Veranstaltung das Grußwort spricht – und in welcher Reihenfolge. Am Ende stehen 10 Grußworte, es wird sich darum gekloppt, wer anfängt – und die geladenen Gäste schlafen alle schon nach den ersten Grußworten ein.

„Wenn’s denn darum geht, eine Leitungsposition zum Beispiel zu übernehmen, dann geht es doch darum, dass das Projekt gelingt und nicht, dass jeder ein Stück von dieser Machtposition da hat.“

Dunya Elemenler

Auch Dunya Elemenler geht es manchmal zu viel um Macht und zu wenig um Inhalte. Und das haben alle Organisationen gemeinsam, da ließe sich niemand nennen, der an der Stelle besonders herausstechen würde. Und irgendwie kennen wir das auch alle auf die ein oder andere Weise aus unserem Berufsumfeld. Aber auch da lassen sich bereits Gemeinschaft üben und Toleranz.

Oder ganz einfach im Alltag. Statt anonym in der Großstadt zu leben, könnte man einfach anfangen, Kontakt mit den Nachbar:innen aufzunehmen. Im Haus, in dem Dunya Elemenler in Emmedingen gelebt hat, standen Weihnachten Plätzchen und Ostern ein Osterhase vor der Tür. Und zum Ramadan Fest gabs dann eben auch Geschenke für die Menschen, die mit im Haus gelebt haben.

Manchmal ist es auch einfach nur ehrliches Interesse am Gegenüber. Die einfache Frage, wie es jemandem geht, begleitet von einem ernsthaften Interesse an der Antwort, kann manchmal Wunder wirken. Für diese kleinen, Gemeinschaft stiftenden Interaktionen im Alltag nehmen wir uns häufig viel zu wenig Zeit. Aber es sind die kleinen Dinge, die manchmal großes bewirken können. Und die uns in Kontakt bringen. Und uns auch in Konfliktsituationen stärken. Denn Konflikte lösen müssen wir lernen und immer wieder üben.

„Wir sind alle vor unseren Rechnern, sind mit tausend Leuten befreundet, aber haben eigentlich keine Ahnung, wie wir mit Menschen noch reden sollen.“

Dunya Elemenler

Dabei geht es um Kompetenzen wie Zuhören, Kompromissbereitschaft, aktive Suche nach einem Mittelweg – klingt im ersten Moment hart und sicher gibt es Konflikte, die sich nicht so leicht lösen lassen. Aber wenn wir aufhören, nach Lösungen zu suchen, dann treibt das eine Gesellschaft auseinander. Viele Kompromisse im eigenen Alltag sind am Ende gar nicht so schmerzhaft, wie es zu Beginn scheint.

Zum Schluss sprechen Dunya Elemenler und ich noch, wie der Diskurs über „sexuelle Freiheit“ zwischen Migrantinnen und westilch-weißen Frauen geführt wird und wo es dort Knackpunkte gibt zum Beispiel beim Thema Emanzipation. Außerdem geht es – natürlich – noch ein bisschen über die verbindende Kraft von und die Begeisterung für Sport.

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