Nina Fabert ist Textildesignerin und arbeitet in ihrem Atelier in Berlin. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie vor ein paar Jahren begonnen, einen neuen Werkstoff für sich zu entdecken. Einen Pilz. Fomes Fomentarius oder Zunderschwamm. Aus seiner innenliegenden Trama-Schicht lässt sich ein Textil herstellen, dass ein bisschen so aussieht wie Wildleder – und sich unfassbar gut anfühlt. Ich hab mit Nina Fabert über ihre Entdeckungen rund um den Zunderschwamm gesprochen, ihr Label „Zvnder„, neue Entwicklungen in der Textilindustrie und Slow Fashion.
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Der Pilz selber sieht erstmal sehr unscheinbar aus. Der Zunderschwamm ist ein Baumpilz. Das sind die kleinen, halbrunden Schirmchen, die an manchen Bäumen wachsen. Die Aufgabe des Baumpilzes ist es, die Baumstrukturen aufzulösen und den Baum zu Fall zu bringen. Das heißt, Baumpilze weisen darauf hin, dass ein Baum geschwächt oder krank ist, erklärt Nina Fabert.
„Der Baumpilz säubert unseren Wald von altem, geschwächten Material und sorgt für Totholz.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Der Baumpilz zieht zudem auch ein paar Helfer wie Insekten oder Käfer an. Auch auf toten Bäumen lebt der Baumpilz weiter. So lange eben, bis er kein Substrat mehr hat und der Baum ganz aufgelöst ist.
Bis vor knapp hundert Jahren war der Zunderschwamm übrigens noch sehr geschätzt. Man hat ihn zum Beispiel für Wundauflagen verwendet, weil das Material sehr saugfähig ist und dadurch auch blutstillend. Außerdem gibt es die Vermutung, dass er entzündungshemmende Eigenschaften hat und sich Wunden schneller schließen. Wie lange uns der Zunderschwamm schon begleitet, beweist übrigens auch die Gletschermumie Ötzi, bei der nicht nur eine Baumpilzart zu finden war. Den Zunderschwamm hatte er vermutlich dabei, um damit Feuer zu machen.
In Thüringen hat zudem eine ganze Industrie vom Zunderschwamm gelebt. Aus dem Material im Inneren lässt sich nämlich Zunder herstellen. In den Zunder wurde mit Hilfe von Feuersteinen eine Glut geschlagen, mit der man dann ein Feuer anzünden kann. Die Zunderindustrie in Thüringen wuchs rasant und war europaweit bekannt. Das Material wurde unter anderem nach England exportiert. Mit der Erfindung und Verbreitung des Zündholzes Mitte des 19. Jahrhunderts, war es dann aber vorbei mit der florierenden Zunderschwamm-Industrie. Für den Wald war das nicht das schlechteste, erklärt Nina Fabert. Denn der hat unter der massiven Nachfrage nach dem begehrten Rohstoff gelitten:
„Für die Wälder war das auf jeden Fall ziemlich gut, weil das so eine große Produktion dieses Materials war, dass es auch importiert wurde aus Rumänien und Ungarn. Es gab eine ganze Handeslroute auf der dieser Pilz nach Deutschland importiert wurde.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Und spätestens seit wir nicht mehr mit Feuer, sondern mit Heizkörpern für Wärme in unseren Häusern und Wohnungen sorgen, ist der Zunderschwamm bei uns in Vergessenheit geraten. Dass man aus dem Inneren des Baumpilzes aber nicht nur Zunder, sondern auch einen lederähnlichen Stoff herstellen kann, wissen nur noch die wenigsten. Diese Handwerkskunst wird aktuell nur noch von einigen Familien in Rumänien beherrscht.
Alternative Materialien, nachhaltiges Design
Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sich auch Nina Fabert an der Herstellung des Stoffes versucht. Allerdings mit eher überschaubarem Erfolg, wie sie sagt. Denn wie gut das Ergebnis wird, ist zum Beispiel abhängig davon, wo der Zunderschwamm wächst, also von der Beschaffenheit des Bodens, der Höhenlage, dem Wassergehalt und auch dem Alter. Um von außen beurteilen zu können, ob ein Fruchtkörper geeignet ist, braucht es jahrelange Erfahrung. Erfahrung, die in den Familien in Rumänien von Generation zu Generation weitergegeben wird.
„Die Leute in Rumänien wissen auch, welche Fruchtkörper sie pflücken müssen. Sie nehmen nicht alle, sie pflegen auch die Bäume. Sie kommen dann ein Jahr später und sehen, da wächst was Gutes und das ist nicht so gut. Die kennen ihren Wald in- und auswendig.“
Nina Fabert, Textildesignerin
In Rumänien werden aus dem Pilzleder vor allem Hüte und Applikationen gefertigt. Das ist nicht ganz das, worauf die Zielgruppe steht, die Nina Fabert mit ihren Kreationen erreichen möchte. Deshalb war es für sie wichtig sich anzuschauen, was sich sonst noch so aus dem Material fertigen lässt und welche Produkte zu diesem Material passen.
Dafür musste Nina Fabert das Material erstmal für sich entdecken. Sie hat es untersucht auf Zugfestigkeit, Materialstärke, wie es sich mit Wasser verhält oder auch, wie das Pilzleder sich überhaupt reinigen lässt. Die Herausforderung dabei: Der Naturstoff verhält sich sehr individuell. Das fängt bei der Farbe an und geht weiter über Materialstärke, Materialgewicht und Haptik zum Beispiel. Das macht es ziemlich schwierig, allgemein gültige Aussagen zu treffen.
„Das sind alles Unbekannten gewesen. Allerdings kann man auch jetzt noch nicht sagen: Das funktioniert so und so. Weil jedes Stück, das aus dem Pilz gefertigt wird, ist komplett anders.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Dass Nina Fabert sich überhaupt mit dem Zunderschwamm beschäftigt hat, liegt zum einen an ihrem Studium. Sie hat an der Kunsthochschule in Weißensee Textildesign studiert. Im Zuge dieses Studiums hat sie sich auch mit Green Design und Nachhaltigkeit beschäftigt und nach Alternativen zur schnelllebigen Textil- und Modeindustrie geforscht. Vor ihrem Studium hatte sie bereits Mode studiert und auch in dem Bereich gearbeitet.
„Mit der Zeit kriegt man mit: OK, man dreht sich irgendwie im Kreis. Und es fühlt sich auch wenig sinnvoll an, jedes Jahr oder jedes halbe Jahr neue Kollektionen zu machen, neue Stoffe zu bestellen in Massen, und dann weiß man nicht mal, ob man das alles verkauft.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Die schnelllebige Modeindustrie bedeutet nicht nur, dass ständig alles neu gemacht werden muss. Was nicht verkauft wird, landet am Ende im Müll. „Das sind ganz unschönen Kreisläufe“, sagt Nina Fabert und deshalb hat sie beschlossen zu lernen, wie man selber etwas produziert. Im Textilstudium ging es dann zum Beispiel um Flächengestaltung, also wie können Stoffe und Textilien nachhaltig bedruckt, behandelt oder veredelt werden. Mit welchen bisher noch unbekannten Materialien lassen sich noch Stoffe weben oder stricken?
Nina Fabert hatte verschiedene Materialen ausgewählt mit denen sie arbeiten wollte. Der Baumpilz hatte sie zunächst nicht so sehr interessiert. Und trotzdem war er immer irgendwie präsent. Und irgendwann hat sich Nina Fabert den Pilz dann doch mal näher angesehen und war überrascht davon, wie viel Fasermaterial in dem Fruchtkörper vorhanden ist, das einfach sehr dicht gepackt ist. Sie beschäftigt sich intensiver mit dem Zunderschwamm und findet sehr bald heraus, dass aus dem Material bereits seit Jahrhunderten ein lederähnliches Textil gefertigt wird. Und sie wundert sich, dass dieses wertvolle Wissen nahezu in Vergessenheit geraten ist.
„Der riecht stark! Also ein bisschen frisch und ein bisschen dolle waldig. Dem Material merkt man ja auch noch an, dass es irgendwie aus dem Wald kommt.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Das Tramaleder, Trama ist die Schicht im Pilzinneren aus der das Material gewonnen wird, sieht aus wie feines Wildleder, fühlt sich sehr weich, fast samtig an und ist tuffig wie Moos. Seine Farbe geht von hellem beige bis hin zu einem rötlichen Braunton. Die Materialeigenschaften gehen aber stark weg von dem, was tierisches Leder ist, sagt Nina Fabert.
Bis das vegane Pilzleder aber so aussieht, wie es beim Gespräch vor uns auf dem Tisch liegt, muss da eine ganze Menge Arbeit reingesteckt werden. Die Tramaschicht liegt direkt unter der sehr harten Hutkruste des Pilzes. Weil die Hutkruste so hart werden kann, werden bevorzugt junge Pilze bearbeitet. Ist die Hutkruste zu hart, hilft es, den Pilz erstmal in Wasser einzulegen und ihn ein bisschen einzuweichen.
Danach muss die Kruste abgekratzt werden. In Rumänien werden dafür sichelförmige Messer benutzt. Der Pilz wird auf einen Bock gelegt und dann bearbeitet. Weil dabei durchaus viel Kraft verwendet werden muss, schützen sich die Handwerker:innen mit einer Art Autoreifen vor dem Körper.
„Es ist schon gefährlich. Also ich hatte auch selber sehr viel blutige Hände als ich das planlos angefangen hab. Und das hat auch viele Stunden gedauert.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Die Tramaschicht selber ist zunächst mal wie ein kompaktes Stück hartes Gummi, das auch noch ein bisschen feucht ist. In alten Anleitungen hatte Nina Fabert gelesen, dass man dieses Gummi mit einem Stück Holz weich schlagen muss. Für ihre ersten Versuche hatte sie sich deshalb damals eine Art Schläger aus Holz geschnitzt. Aber das Plattklopfen hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Was dabei raus kam, ähnelte eher Karton oder härterem Papier, erzählt sie. Dass das nicht funktioniert hat, kann aber auch daran liegen, dass sie damals einfach noch nicht wusste, welche Pilze sich zur Bearbeitung eignen.
In Rumänien wird dieses harte, gummiartige Stück mit den Händen gezogen. Ein bisschen wie ein Pizzateig – nur, dass Trama nicht so klebrig ist. Durch das ziehen lockern sich die Fasern, die Hohlfasern bekommen Luft und dadurch entsteht die Form. Das Material ist mal mehr, mal weniger gleichmäßig. Denn wie in vielen anderen Naturmaterialien auch, gibt es kleine Einschlüsse oder ein Ast ist an einer Stelle durch den Pilz gewachsen. An diesen Stellen gibt es kleine, etwas festere Knübbelchen. Die entstehen aber auch bei tierischem Leder, etwa durch Narben von Verletzungen.
„Die Ergiebigkeit aus einem Pilz, das ist etwas größer als zwei Hände voll, kann eine große Fläche erzeugen. Ich sag mal so das Dreifache.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Aus diesen Stücken entstehen in Rumänien zum Beispiel Hüte, die über eine Runde Hutform gezogen werden. Das hat den Vorteil, dass man keine Nähte braucht. Für die Portemonnaies und Uhrenarmbänder, die Nina Fabert aus dem veganen Lederstoff herstellt, verwendet sie Schnittmuster und näht diese dann zusammen. Dabei sind die Stücke in ihrer Beschaffenheit so unterschiedlich, dass sie sich jedes einzeln anschauen muss, damit die Materialien auch zusammen passen. Alles, was sie herstellt, gibt es damit genau ein Mal.
Experimentelle Pionierarbeit
Nina Fabert experimentiert auch mit Beschichtungen, um das Pilzleder strapazierfähiger und damit haltbarer zu machen. Zum Beispiel durch den Einsatz von Polyurethan. Mit dieser Beschichtung ist die Textildesignerin allerdings noch nicht so richtig zufrieden, weil sie nicht ihren Ansprüchen an Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit entspricht. Es werden aber bereits Bio-Beschichtungen getestet, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Beschichtung wird mit Hitze aufgetragen und verleiht dem Pilzleder mehr Zugfestigkeit und macht es wasserabweisend. Außerdem verändert sich das Aussehen: Das Pilzleder wird zum Beispiel dunkler und bekommt eine Antikoptik.
Preislich liegt das vegane Pilzleder eher im mittleren Segment, sagt Nina Fabert. Es ist nicht totaler Luxus. Und für den Wert des Materials eigentlich sogar günstig, sagt die Textildesignerin, wenn man mit einkalkuliert, wie viel Handarbeit da drin steckt und welche Qualität man dafür bekommt. Nämlich ein Material, das frei von Giftstoffen ist, wie sie etwa beim Gerben und Färben von Leder verwendet werden.
„Ich würde sagen, es ist nicht totaler Luxus. Also es gibt ja wirklich Leder, das ist so aufwändig gefertigt, das kann man sich normal nicht leisten. Da kann das super mithalten.“
Hinzu kommt, dass jedes Produkt ein Unikat ist und damit eben kein Massenerzeugnis. Vielmehr ist Pilzleder ein Nischenprodukt, das auch saisonabhängig ist, weil die Pilze eben nur saisonal geerntet werden können. Wirklich produziert werden am Ende tatsächlich nur wenige Kilogramm im Jahr. Das reicht, um auf Anfrage zu produzieren. Aber da in Vorlauf zu gehen und zum Beispiel mit Shops zusammen zu arbeiten, das ist eher schwierig. Dabei ist die Nachfrage richtig groß. Nicht nur bei Portemonnaies, Uhrenbändern oder Taschen, auch im Reitsport besteht Interesse an dem Lederersatz aus dem Baumpilz.
Weil das Vorkommen in der Natur so schwer zu kontrollieren ist, gibt es bereits Versuche, den Baumpilze industriell zu züchten. Dafür wird das Mycel, also das weiße Geflecht des Pilzes unter der Baumrinde, auf einen Trägerstoff verpflanzt. Das können zum Beispiel Holzschnitzel sein oder auch eine andere Nährstoffbasis. Das Züchten des Pilzes klappt schon ganz gut, sagt Nina Fabert, da habe sie schon vielversprechende Ansätze gesehen. Aber es hapert immer noch an einer industriellen Ausarbeitung der Tramaschicht zu einem verwertbaren Tramaleder mit dem dann weiter gearbeitet werden kann.
„Es gibt schon viele Firmen, die da schon länger dran arbeiten, aber man sieht noch nicht so richtig was davon.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Und nicht nur in der Textilindustrie wird mit den Pilzen experimentiert. Es werden auch zum Beispiel Dämmstoffe aus Pilzfasern hergestellt. Grundsätzlich ist das Interesse an Pilzen als Rohstoff seit einigen Jahren sehr groß, erklärt Nina Fabert. Auch viele Künstler:innen haben sich mit dem Thema beschäftigt. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Kommunikation und Netzwerken.
Nina Fabert arbeitet aber nicht nur mit der Tramaschicht im Zunderschwamm. Sie versucht möglichst den ganzen Pilz zu verwerten. Dazu gehört auch die Röhrenschicht, das ist die Unterseite des Pilzes, da, wo die Sporen rauskommen. Die schneidet sie zum Beispiel längs auf in dünne Scheiben. Genauso wie das Pilzleder fühlt sich die Röhrenschicht sehr weich an, ist aber härter. Ähnlich wie Holz. Hält man die Scheibe gegen das Licht und bewegt sie, entsteht eine Art Glanzeffekt. Ein bisschen wie bei einer Strumpfhose.
Auch mit diesem Material hat Nina Fabert experimentiert. Eine Herausforderung ist es, die dünne Röhrenschicht zu stabilisieren, damit sie nicht bricht, denn sie reagiert zum Beispiel auf Luftfeuchtigkeit. Dafür hat sie mit Kompositen, Harz und Lacken gearbeitet. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Zum einen lassen sich daraus spannende Schmuckstücke herstellen, aber auch für Lichtinstallationen eignet sich das Material oder für den Einsatz als Biofilter.
Dass aus ihrer Masterarbeit über den Zunderschwamm mal ein Business entsteht, war ursprünglich gar nicht geplant. Aber inzwischen hat Nina Fabert so viele Anfragen, dass sie fast ausschließlich davon leben könnte. Um alle Anfragen bearbeiten zu können, bräuchte sie aber deutlich mehr Material – und das ist aktuell noch nicht verfügbar. Aber es ging Nina Fabert bei ihrem Projekt auch gar nicht darum, mit dem Zunderschwamm das große Geschäft zu machen.
Vielmehr geht es ihr um Aufklärung. Darum, darauf hinzuweisen, dass es Alternativen zu den aktuell verwendeten Materialien gibt, und wie die verwendet werden können. Aktuell sind ihre Arbeiten zum Beispiel im Futurium in Berlin zu sehen, wo ein Projekt von der TU Berlin und dem Artlaboratory zum Thema „Mind the Fungi – Wissen aus dem Wald“ ausgestellt ist.
„Ich finde gut, dass das so viel Zeit braucht, das Projekt und relativ langsam funktioniert. Eben auch abhängig von dem, was an Material da ist. Das Slow Design passt ganz gut zu dem Pilz.“
Nina Fabert, Textildesignerin
Auch die Familien in Rumänien freuen sich über das neu erwachte Interesse am Zunderschwamm und ihrem Wissen über seine Verarbeitung. Wer noch ein bisschen mehr darüber wissen möchte, findet im Rennsteigmuseum in Thüringen eine ständige Zunderschwammausstellung. Und natürlich gibt’s auch noch zahlreiche Informationen auf zvnder.com.
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5. Dezember 2021 — 9:41
Es gibt in Deutschlands auch noch einen Zunder Macher der das alte, fast ausgestorbenen, Handwerk, betreibt. Finden kann man ihn unter
http://www.zunderwerkstatt.de.
Dort wird der Zunder zum Feuermachen hergestellt und angeboten.